Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Osten her der Hauptstadt des Kalifats näherten, waren Bauern, die ihr Vieh zu den Märkten trieben. Viele ritten auf Maultieren, in deren Fell sich Schuppen aus Wüstensand festgesetzt hatten. Dann gab es die Karawanen der Händler, Kaufleute aus den unterschiedlichsten Regionen des Reiches, deren Reichtum oder Armut sich an der Art ihres Transports ablesen ließ: Da waren solche, die wie die Bauern auf Eseln ritten und ihre bescheidene Ware in Körben verstaut hatten; andere, die hoch über den Köpfen ihrer Trägersklaven auf Kamelen dahinschaukelten; und schließlich jene, die man gar nicht zu Gesicht bekam, denn sie verbargen sich vor der stechenden Wintersonne in ihren Sänften, dirigierten ein Gefolge aus Sklaven und Leibwächtern und hätten ebenso gut Fürsten, gar Könige sein können.
Sinaida machte einen Bogen um die größeren Reisegruppen, was in einer Gegend wie dieser nicht schwer fiel. Das Land war so eben, dass sie mühelos abseits der Straße reiten konnte.
Bald passierte sie die ersten Bewässerungskanäle, die in weiten Ringen um Bagdad herum angelegt worden waren. I m W inter lagen die Felder brach, doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedermann, selbst der ärmste Bauer, von den Kanälen profitierte. Durch das, was Sinaida unterwegs in Karawansereien und Handelsstationen über das Kalifat erfahren hatte, wusste sie, dass das ganze Land eine einzige Wüste gewesen wäre, hätten sich nicht schon vor Jahrhunderten Baumeister daran gemacht, ein Bewässerungssystem für die Umgebung der Stadt zu entwickeln.
Bagdads ursprünglicher Name war Medinat as-Salaam gewesen, die Stadt des Friedens, und Sinaida empfand es als heimtückische Ironie des Schicksals, dass ihr eigenes Volk ausgerechnet an einen Ort wie diesen Krieg und tausendfachen Tod tragen wollte. Als der Abbasidenherrscher al-Mansur die Stadt im Jahr 762 nach Christus gegründet hatte, war dem Vorhaben eine lange und gründliche Suche nach dem besten Standort für die künftige Hauptstadt vorausgegangen. Schließlich hatte man sich für eine Gegend am linken Ufer des Tigris entschieden, der wie sein Bruderfluss Euphrat das Land von Norden nach Süden durchschnitt. In einer weiten Kurve des Stroms hatte al-Mansur die Runde Stadt errichten lassen, das Herz Bagdads, das seitdem längst in Gestalt weitläufiger Vorstädte und Märkte in alle Richtungen wucherte, sogar hinüber auf die andere Flussseite.
Auch fünfhundert Jahre nach der Gründung Bagdads war die Runde Stadt noch immer das Zentrum des Kalifenreichs. Schon aus großer Entfernung war sie deutlich auszumachen. Ihre drei hohen Ringmauern bildeten einen perfekten Kreis. Der äußere Mauerwall, gekrönt von stufenförmigen Zinnen und über hundert Türmen, besaß vier Tore. Dahinter – das wusste Sinaida vom Leibwächter eines Kaufmanns, der hier einst als Soldat gedient hatte – lag zum Schutz vor Eindringlingen ein breiter Streifen Ödland. Hierauf folgte die zweite Mauer, ebenso hoch wie die erste und streng von Soldaten bewacht. Erst jenseits davon erstreckten sich eng verschach telt die eigentlichen Wohnviertel. Hier verliefen alle Gassen sternförmig. Unter den hölzernen Balustraden und weit gespannten Tuchdächern hatten sich einstmals die berühmten Basare der Stadt befunden, doch ein Nachfolger al-Mansurs hatte die Märkte aus der Runden Stadt in die Vororte verlegt. Es hieß, ein byzantinischer Herrscher habe ihn eines Tages besucht, die prachtvolle Anlage Bagdads und all seine Wunder bestaunt, schließlich jedoch zu bedenken gegeben, dass sich eine Stadt wie diese nicht verteidigen ließe. Der Kalif war verblüfft über diese Worte, denn die Mauern Bagdads erschienen ihm doch als die höchsten und stärksten der Welt, und gewiss bedurfte es einer unerhört mächtigen Armee, einen solchen Wall zu brechen. Der byzantinische Kaiser aber erklärte, dass es für Feinde ein Leichtes sei, sich als Händler auszugeben und so mühelos ins Innere vorzudringen. Hier, so warnte er seinen Gastgeber, könnte eine Hand voll geschickter Spione ungleich größeren Schaden anrichten als jede feindliche Streitmacht durch einen Angriff von außen.
Der Kalif sprach darüber mit seinen Beratern, und so wurde die Entscheidung getroffen, alle Basare aus den Mauern der Runden Stadt zu weisen. In den Vorstädten wurden die neuen Märkte nach den Berufsständen der Handelnden gegliedert; der Kalif platzierte die Fleischer am äußersten Rand, denn sie, so meinte er, seien von
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