Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Prunk des Palastes.
Er bewegte sich mit langsamen, hoheitsvollen Schritten die Stufen seines Thronpodests herab und gab den beiden Gardisten einen Befehl auf Arabisch. Sogleich traten sie mehrere Schritte auseinander. Nun stand der Kalif direkt vor seinen drei Besuchern, und Libuse senkte hinter ihrem Schleier den Blick.
» Ist das deine Tochter? «, fragte al-Mutasim.
» Sie ist es «, gab Corax zurück. » Nives Kind. «
Der Kalif runzelte die Stirn. » Nive «, flüsterte er. » Es ist so lange her. « Mit einem Ruck wandte er sich an einen der Gardisten. » Sie sind doch durchsucht worden? «
» Das sind sie, Gebieter. Sie tragen keine Waffen. «
Al-Mutasim lachte leise und sah wieder Corax an. » Ich habe diesen Mann kämpfen sehen. Er kann mit bloßen Händen ebenso töten wie mit dem Schwert. Aber deshalb ist er nicht hier, nicht wahr? «
» Ich komme mit einer Bitte, ehrwürdiger Gebieter. «
» Ich bin nicht mehr dein Gebieter, Corax von Wildenburg. Ich bin es nicht mehr, seit ich dich aus meinem Reich verbannt habe. Warum hast du gegen meinen Befehl verstoßen und bist zurückgekehrt? Du weißt, was das bedeutet. «
» Ich bin des Todes, Herr. «
Libuse ballte unter ihren Gewändern die Fäuste.
» Bevor ich dir den Kopf abschlagen lasse, sollten wir einen Becher Wein miteinander trinken «, sagte al-Mutasim. » Was hältst du davon? «
» Ich wäre geehrt und beglückt, Herr. «
Der Kalif wandte sich an einen der Wächter. » Der private Audienzraum soll vorbereitet werden. Wein für meine Gäste. «
Fragend blickte er Corax an. » Etwas zu essen? «
» Wir sind nicht hungrig, Herr. «
Der Gardist verbeugte sich und lief im Eilschritt davon, um den Befehl seines Herrschers auszuführen.
Al-Mutasim seufzte kaum hörbar. » Ein Graus, wenn selbst ein Wiedersehen zwischen Freunden zu einer Staatsaffäre wird. «
*
Die beiden Männer umarmten sich wie Brüder, die nach vielen Jahren der Trennung wieder zueinander fanden. Für Libuse war es ein Schock, den Kalifen mit einem Mal so verändert zu erleben.
» Es tut gut, dich zu sehen «, sagte al-Mutasim voller Herzlichkeit und küsste Corax auf beide Wangen.
» Ich wäre glücklich, dasselbe sagen zu können «, entgegnete Corax, und erst nach einem Herzschlag begriff der Kalif, wie die Worte gemeint waren.
» Es tut mir Leid, was mit deinen Augen geschehen ist «, sagte al-Mutasim und stutzte. » Was ist geschehen? «
» Eine lange Geschichte. Keine schöne. «
» Nein, gewiss nicht. Aber die Tür ist verschlossen, und die Wächter auf dem Gang gehören zu der Hand voll, der ich vorbehaltlos vertraue. Und Zeit habe ich, so viel du beliebst. «
» Man hört, die Stadt bereite sich auf einen Krieg vor? «
Al-Mutasim zuckte die Achseln, als ginge ihn das nichts an. » Das wird sich herausstellen. Noch hat niemand den Feind wirklich gesehen. «
» Sicher habt ihr Späher ausgesandt. «
» Dutzende. Und nicht einer ist zurückgekehrt. Auch unter den Flüchtlingen ist keiner, der mehr als Rauch am Horizont gesehen hat. Falls da ein Gegner ist, ist er gründlich. «
Der Raum, in dem sie sich nun befanden, war ungleich kleiner als die weite Audienzhalle. Wände und Säulenbögen waren mit verschlungenen Malereien bedeckt, mit Symbolen und Schriftzeichen, aber auch winzigen Szenen aus Legenden und Märchen. Zahllose Kissen von unterschiedlicher Gestalt und Größe waren zu Hügeln aufgeschichtet, und in der Mitte des Zimmers befand sich ein niedriger Tisch ohne Stühle. Darauf stand eine Wasserpfeife. Um sie herum waren Gedecke mit süßem Backwerk, goldene Becher und zwei Karaffen mit Wein angerichtet. Es roch angenehm nach exotischen Gewürzen, die in kleinen Nischen in den Wänden verbrannten.
» Nehmt Platz «, bat der Kalif und deutete auf vier Kissen rund um den Tisch. Er ließ sich als Erster im Schneidersitz nieder und goss eigenhändig Wein in alle Becher. Corax setzte sich zu seiner Rechten, Libuse und Albertus nahmen nach kurzem Zögern die beiden übrigen Plätze ein.
» Heben wir die Gläser und trinken wir auf unser Wiedersehen «, sagte der Kalif.
Spätestens jetzt konnte Libuse nicht länger an sich halten.
» Wie kann ich mit dem Mann trinken, der meinen Vater hinrichten lassen will? « Albertus berührte sie mäßigend an der Hand, doch sie entzog sie ihm blitzschnell und ließ sich nicht beirren.
Al-Mutasims Becher verharrte kurz vor seinen Lippen. Der Kalif blickte erstaunt von Libuse zu Corax. » Deine Tochter, mein
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