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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Menschenstrom schwächer geworden war. Überall vor den Eingängen und unter Baikonen lagen reglose Gestalten und schliefen im Freien, weil alle Herbergen überfüllt waren und es auch sonst keine Unterkünfte mehr für sie gab.
    Eine Weile schwiegen die beiden. Aelvin sah nun schon so lange zum Sternenhimmel empor, dass er das Gefühl hatte, in ihn hineinzustürzen, ganz klein, ganz verloren. Es hätte ihn ängstigen müssen, doch heute erschien ihm die Nacht befreiend in ihrer schwarzen Grenzenlosigkeit.
    » Hast du das ernst gemeint? «, fragte Favola leise. » Dass Gott vielleicht verrückt geworden ist? «
    » Vielleicht ist er nie anders gewesen. Sonst hätte er die Welt nicht so erschaffen, wie sie ist, oder? «
    » Voll von Männern wie Gabriel, meinst du? «
    » Ja. «
    » Irgendwer muss schließlich auch in die Hölle kommen «, sagte sie nachdenklich.
    » Aber wenn es keine bösen Menschen gäbe, brauchten wir keine Hölle. «
    » Und wovor sollten wir uns dann fürchten? Keiner hätte mehr Angst davor, etwas Böses zu tun – «
    » Und dann gäbe es keine Guten mehr «, beendete er lächelnd ihren Satz. » Eine ziemliche Zwickmühle. «
    Favolas rechte Hand streichelte abwesend den Deckel des Luminaschreins wie den Kopf eines Hundes. » Immerhin beweist es, dass alles irgendeinen Sinn hat. Gut und Böse. Himmel und Hölle. Menschen wie Gabriel. «
    » Und Menschen wie du. « Er wurde ein wenig verlegen. » Gute Menschen. «
    Sie runzelte die bleiche Stirn, fast ein wenig verärgert. » Ich bin nicht so makellos, wie ihr alle denkt. «
    » Dann verbirgst du deine Makel recht gut. «
    Ihre Mundwinkel verzogen sich, jedoch nur ein wenig.
    » Ich habe genauso sündige Gedanken wie jeder andere. «
    Er zögerte noch, dann legte er von hinten die Arme um sie. Sie lehnte ihren Kopf mit dem struppigen Haar zurück gegen seine Brust und sah wieder in die Nacht hinauf.
    » Ich will nicht, dass du für mich stirbst, Aelvin. «
    » Das werde ich nicht. «
    » Die Todsicht – «
    » Hat auch behauptet, dass du Gabriel umbringst. Und jetzt liegt er viele Tagesreisen entfernt in irgendeinem Erdloch im Wald. Jedenfalls das, was die wilden Tiere von ihm übrig gelassen haben. «
    » Ich habe nicht gesehen, wie er starb. Du vielleicht? «
    » Ein Blinder kommt allein nicht weit in den Wäldern. Erst recht nicht im Winter. «
    Bagdads Dächer und Kuppeln wurden von rötlichem Lichtschein umrahmt, der sich erst weiter oben im Nachthimmel verlor: Rauch von hunderttausenden Feuern, die in den Häusern, aber auch auf den Straßen loderten, um den Mensche n d ort Wärme zu spenden. Die Schwaden wurden bei ihrem Aufstieg von den Flammen erleuchtet, sodass die ganze Stadt zu glühen schien.
    » Was tun wir, wenn die anderen nicht zurückkommen? «, fragte Favola leise.
    » Natürlich kommen sie zurück. «
    » Und wenn nicht? Wenn sie Corax wirklich umbringen und Libuse ihm helfen will und ebenfalls … « Sie sprach den Rest nicht aus.
    Die Vorstellung, dass er Libuse heute Abend vielleicht zum letzten Mal gesehen hatte, war wie eine Messerschneide, die gegen seine Kehle gedrückt wurde. Er hatte Mühe, durchzuatmen, wollte aber nicht, dass Favola es bemerkte.
    » Du bist in sie verliebt «, sagte sie plötzlich.
    Er schwieg.
    » Ich weiß es schon lange. « Ihr Hinterkopf lag noch immer an seiner Brust, und wenn er nach unten sah, konnte er ihre dunklen Wimpern zittern sehen. » Und es ist richtig so. Sie ist besser für dich. «
    » Du und ich «, sagte er, » wir sind keine Novizen mehr. Die Gesetze des Klosters gelten für uns nicht mehr. «
    » Das meine ich nicht. «
    Nein, dachte er traurig. Natürlich nicht.
    » Sie ist … normal «, fuhr sie fort. » Du kannst sie berühren, ohne dass sie irgendwelche schrecklichen Visionen hat. Und sie mag dich. Sehr sogar. «
    » Lass uns darüber jetzt nicht sprechen, ja? «
    » Sie hat es mir gesagt. Dass sie dich mag. «
    Schwer vorzustellen, dass Libuse so etwas zu irgendjemandem sagen könnte. Sie redete niemals über ihre Gefühle.
    Favolas Stimme klang so leicht und schwebend wie der Ton einer fernen Flöte. » Sollten wir wirklich irgendwann dort ankommen … wo auch immer dort sein mag … dann werd e i ch bei der Lumina bleiben. Das ist meine Aufgabe. Darum bin ich hier. Und du kannst mit Libuse fortgehen. «
    » Bitte, Favola, ich will jetzt nicht – «
    Schritte ließen sie aufhorchen. Favola löste sich von Aelvin, als sie beide herumwirbelten.
    Am Treppenaufgang,

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