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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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beschienen vom Fackelschein aus der Tiefe, stand Ja ’ far. » Ihr könnt hier nicht bleiben «, sagte er ernst. » Ihr müsst sofort verschwinden. «
    *
    Der Schatten seiner Taten fiel nach Süden.
    Er eilte ihm voraus, als trüge ein Nordwind die Schreie der Sterbenden vor sich her. Als färbe das Blut der Toten den Tigris auf seinem Weg nach Bagdad mit rostroten Schlieren.
    Gabriel verstand die Sprache seiner Opfer nicht, doch er sah es in ihren Blicken, wenn die Wölfe über sie herfielen. Sie erkannten ihn, so als erzählten sich ihre Ahnen seit Generationen Geschichten über ihn. Dabei waren es nur die Gerüchte, die ihm vorauseilten, die geflüsterten Warnungen in den Zelten der Nomaden. Das Raunen der Karawanenführer.
    Er stellte sich vor, wie sie an Lagerfeuern über ihn raunten. Wie sie in alten Legenden nach den Gründen für sein Erscheinen suchten, in den Prophezeiungen und Visionen der Hellseher.
    Wer ihm begegnete, der bekam keine Gelegenheit mehr, davon zu erzählen. Gerade einmal eine Woche lang hielt der Tod nun durch seine Hände und die Fänge der Wölfe Ernte. Doch für die Gerüchte reichte das aus. Geschichten, die der Wüstensand erzählte, und der Fluss, und die Wolken am Himmel.
    Geschichten vom Rudelführer. Vom Wolfsreiter.
    Vom Dschinn mit den Augen einer Schlange.
    Sie gönnte ihm nur wenige wache Momente. Die Schlange hatte seinen Leib in Besitz genommen. Er wusste jetzt, das s a uch Oberon nur ein Gefäß gewesen war. Ein Teil von ihr war schon vorher in Gabriel gewesen, doch nach Oberons Tod war auch der Rest, der wahre, reptilienhafte Verstand, aus dem Leichnam am Turm der Silberfeste gefahren und hatte sich seiner bemächtigt.
    So stellte er es sich vor. Er wusste nicht, ob es die Wahrheit war. Er suchte nicht nach der Wahrheit.
    Die Schlange war er. Er war die Schlange.
    Mit den Wölfen reiste er nach Süden, einem hungrigen Rudel aus den serbischen Wäldern, halb wahnsinnig vor Furcht vor dem Rudelführer, denn sie witterten das kalte, fremde Wesen in ihm. Sie gehorchten aus Angst, aus Instinkt, aus animalischer Ehrerbietung.
    Sie fürchteten ihn.
    Und er fürchtete sich selbst.
    Die Witterung war aufgenommen. Die Schlangenaugen ersetzten seine eigenen, geblendeten. Er blickte durch sie in die Welt hinaus und sah sie verändert. Alles war wundervoll. Alles war schön. Die Toten, die Furcht, die Schreie der Kinder – dies war sein Paradies. Seine Offenbarung allgegenwärtiger Herrlichkeit.
    Auch die Schlange fürchtete sich. Sie hatte Angst vor der Veränderung, der Tilgung alter Sünde. Sie wollte keine Wandlung, keine Demut vor dem Gott der Menschen.
    Ein neues Paradies auf Erden? Nicht, wenn sie es verhindern konnte.
    Schlangenaugen durchdrangen den aufgewirbelten Sand. Betrachteten den Fluss auf seinem Weg nach Süden und den öden, sandigen Horizont. Streiften mit ihrem Blick die Wölfe, die aufjaulten und mit eingezogenem Schwanz einen Haken schlugen, das Fell verklebt zu einer stinkenden Kruste aus Menschenblut. Sie brauchten Nahrung, und sie fanden sie reichhaltig unter den Familien, die zu Fuß Richtung Süden flohen.
    Erst hatte Gabriel geglaubt, er selbst sei der Grund für die Flucht, und das hatte ihm geschmeichelt. Aber jetzt wusste er es besser. Noch etwas anderes bedrohte das Land und seine Bewohner. Es würde Krieg geben. Vielfachen Tod und endloses Leid. Vielleicht war es kein Zufall, dass sich der Krieg gemeinsam mit der Ankunft der Schlange ankündigte.
    Die Menschen sahen sich einer zweifachen Ahnung von Tod ausgesetzt. Sie fürchteten die Bedrohung aus dem Osten, die Klingen der Großen Horde und ihre legendäre Grausamkeit. Aber sie fürchteten auch den Mann mit dem verwüsteten Gesicht und sein Gefolge aus Wölfen. Den Mann, dessen Augen blutkrustig und zerstört waren, und aus denen doch die Tücke der Schlange blickte, mit geschlitzten Pupillen wie Messerwunden.
    Die Schlange lenkte jeden seiner Schritte, jede seiner Bewegungen. Aber sie spielte auch mit ihm. Manchmal ließ sie ihm einen Hoffnungsschimmer auf sein altes Leben, ließ ihn in Erinnerungen schwelgen und das Ausmaß seines Verlusts begreifen. Dann suhlte sie sich in seiner Qual, saugte sie auf wie ihr eigenes Gift. Und immer wenn ihr daran die Lust verging, biss sie ein weiteres Stück aus seinem Verstand. So würde sie von ihm zehren, bis sie ihr Ziel erreichten, denn sie fand Vergnügen in den vergeblichen Anstrengungen seines Gewissens.
    Bald würde sie ihn abstreifen wie eine alte

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