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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Dickicht. Zweige und Blattwedel peitschten ihr ins Gesicht. Wurzeln schienen nach ihren Füßen zu greifen. Überall Rascheln, überall Bewegung.
    Irgendwann erreichte sie das Gittertor und zog es hinter sich zu, machte sich aber nicht die Mühe, die Kette um die Eisenstangen zu schlingen.
    Die Käfige lagen unter einem glutroten Himmel, erhellt von hunderten Feuern jenseits der Mauern. Libuse zählte zwei Tote, dann sah sie Sinaida aus den Büschen treten und ihr Schwert am Gras abwischen.
    Libuse sank kraftlos in die Knie. Sinaida rannte auf sie zu, kam aber zu spät, um sie aufzufangen.
    Der Boden kam näher, Kies scharrte unter ihrer Wange.
    Die Steine waren kalt, das fühlte sie noch.
    In ihrem Kopf kreischten die Affen.
    Du kannst deinen Vater nicht mehr retten.
    Ich muss – Nicht – Muss ihn – Retten.
    *
    » Aelvin! «
    » Ich seh ’ s «, sagte er, aber die Ruhe in seiner Stimme verbarg seine wahren Gefühle.
    Sie standen noch immer an der Brüstung und blickten in die Tiefe. Und so schauten sie zu, wie das Tor zu den Gärten einen Spalt weit geöffnet wurde und ein Trupp Soldaten mit gezogenen Waffen auf den Platz trat. Grob trieben sie die Flüchtlinge auseinander und schufen eine Gasse.
    » Ob das die Verhandlungsdelegation ist? «, fragte Favola und deutete mit einem Nicken zum Tor.
    Aelvin zuckte die Achseln. » Könnte sein. «
    Reiter erschienen, nachdem die Fußsoldaten genug Platz geschaffen hatten. Es waren nicht viele Männer, die da aus dem Torkastell ins Freie ritten, höchstens ein Dutzend. Sie waren zu einem Oval formiert, und in ihrer Mitte trabten zwei weitere Pferde: Auf dem vorderen saß ein einfacher Soldat, der das zweite Ross an einem langen Zügel führte; auf jenem aber ritt ein Riese von einem Mann, und selbst durch den Rauch und im Schein von Fackeln und der roten Himmelsglut erkannte Aelvin auf Anhieb, um wen es sich handelte.
    » Das ist Corax! «
    Sie wechselten einen Blick – und dann rannten Favola und er auch schon: durch die niedrige Tür ins Innere des Turms, die Treppen hinunter, an den Decken vorbei, auf denen sie vier Nächte geschlafen hatten, dann noch mehr Stufen hinab.
    Die Halle im Erdgeschoss war noch immer voller Menschen, aber es waren weniger geworden, seit der Beschuss begonnen hatte. Alle fürchteten jetzt, in den Trümmern der einstürzenden Gebäude begraben zu werden. Aelvin und Favola waren die Letzten, die sich noch in den oberen Etagen aufgehalten hatten.
    Auf dem Platz herrschte Chaos. Doch trotz des Getümmels verharrten viele Flüchtlinge weiterhin auf ihren kargen Lagern, unbeeindruckt von der Reiterschar. Wer in den Hauseingängen und im trügerischen Schutz der Mauern einen Platz ergattert hatte, gab ihn nicht auf, nur um ein paar hohe Herren vorüberreiten zu sehen.
    Dennoch hatte sich um die Reiter ein Pulk gebildet. Fäuste wurden geschüttelt, Beschimpfungen geschrien. Jemand skandierte einen rhythmischen Sprechgesang, andere fielen mit ein.
    Aelvin rief Corax ’ Namen, doch der Ritter konnte ihn in all dem Trubel nicht hören. Favola tat es ihm gleich, vergebens. Corax blickte mit seinen blinden Augen starr geradeaus. Er trug zum ersten Mal seinen Helm, das Geschenk des serbischen Königs, damit das Volk die Brandwunden nicht sehen konnte; vielleicht auch, um nicht auf Anhieb als Abendländer erkannt zu werden.
    Aelvin drängte noch schneller vorwärts, eingekeilt im Pulk der zornigen Masse. Es war zum Verzweifeln. Da ritt Corax nur wenige Schritt entfernt an ihnen vorüber, und doch konnten sie ihn nicht auf sich aufmerksam machen.
    Corax ’ Leibgarde hatte alle Hände voll damit zu tun, sich der Fäuste und Knüppel zu erwehren, die aus der Menge in ihre Richtung zielten. Sie schienen Order bekommen zu haben, unter keinen Umständen ihre Waffen gegen das eigene Volk einzusetzen, denn noch hieb kein Soldat ernsthaft mit einer Klinge nach den aufgebrachten Flüchtlingen. Dabei hätten einige allen Grund dazu gehabt, denn die zornige Menge ging nun immer grober und gewalttätiger gegen die Garde vor. Schon zeichnete sich auf den Gesichtern mancher Soldaten Panik ab, als immer mehr Menschen nach dem Zaumzeug der Pferde griffen, auf die Tiere einschlugen oder versuchten, die Männer an den Beinen aus den Sätteln zu zerren.
    Aelvin schaute sich nach Favola um.
    » Ich bin hier! «, brüllte sie gleich hinter ihm, aber er konnte die Worte kaum verstehen, las sie nur von ihren Lippen ab. Ihr Kopf schien zwischen den Menschenwogen auf und

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