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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hatte Libuse besudelt, aber schlimmer waren die Prellungen, die sein fallender Körper ihr zugefügt hatte. Alles schmerzte, ihre Arme, ihre Beine, ihr Kopf.
    Noch während sie versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen und zugleich auf der Hut vor weiteren Angreifern zu sein, spürte sie, wie ihre Kraft allmählich zurü ckk ehrte. Die fleischigen Blätter überall um sie herum schienen zu leuchten, aber sie war nicht sicher, ob sie sich das nicht nur einbildete. Es wäre das erste Mal gewesen, dass das Erdlicht ihr ohne Beschwörung zu Hilfe kam. Es war, als spürten die Bäume das Talent, das in Libuse schlummerte, zapften es an und gaben ihr im Austausch dafür neue Stärke.
    Der Schmerz ließ nach, sie fühlte sich frischer, beinahe ausgeruht. Auch ihre Sinne schienen sich zu schärfen. Die Pflanzen sprachen zu ihr, nicht in Worten, eher in Gefühlen, als erwachten in ihr vollkommen neue Instinkte. Sie sah-hörte - fühlte-witterte , wo über ihr die Affen durch das Blätterdach hetzten, von Ast zu Ast, in Aufruhr über den Tod ihres Gefährten, wutentbrannt und doch verängstigt von der Macht ihrer Gegnerin. Und womöglich spürten ja auch sie, dass dieses Menschenweibchen dort unten anders war als die Knechte, die ihnen Futter brachten und sie mit Stockschlägen bestraften.
    Sie war grausam, gewiss: Sie hatte einen von ihnen getötet. Doch sie war auch ein wenig wie sie selbst, viel eher Wild als Mensch, vom gleichen Schlag, ein Kind der Wälder.
    Sie ging weiter, geduckt, allerdings nicht so vorsichtig, wie sie es unter anderen Umständen gewesen wäre. Die Affen waren über ihr, hinter ihr, aber sie griffen nicht an. Manche waren ungeduldig, kreischten und raschelten in den Zweigen, doch da waren auch andere, ganz ruhig und überlegt, verwirrt und zugleich beeindruckt von dem, was da in ihr Reich eingedrungen war. Sie hielten die Zornigen zurück, mahnten zum Abwarten, zum Lauschen, Beobachten.
    Jemand trat vor Libuse aus dem Dschungel. Das war nicht der Wesir. Der Mann war groß, fast ein Riese wie ihr Vater, jedoch jünger als er, kahlköpfig und in eine grobe Lederschürze gekleidet. Seine muskulösen Arme waren nackt, seine Füße steckten in Sandalen. Er musste einer derjenigen sein, die Tag und Nacht diesen künstlich angelegten Dschungel bewachten und die Affen versorgten. Seine Haut war voller Narben, Abdrücken von Affengebissen und Furchen von den Schlägen ihrer Krallen. In seiner rechten Hand trug er einen Knüppel, aus dem die Spitzen langer Eisennägel ragten.
    Libuse tauchte unter seinem ersten Schlag hinweg, doch die vorüberzischenden Nägel verfingen sich in dem Schweif aus rotem Haar, den sie beim Ducken hinter sich herzog; ein e S trähne wurde ihr ausgerissen, und ihre Kopfhaut brannte wie Feuer. Sie rollte sich auf dem Rücken ab, kugelte ins Unterholz und wurde von dem Gewirr aus Ästen und Blattwedeln aufgefangen. Rasch glitt sie zurück auf die Füße, brauchte einen Herzschlag, um sich zu orientieren – und hörte das Laub von dem Schlag wispern, der in diesem Augenblick auf ihren Schädel zuraste.
    Wieder Ducken, noch ein Sprung beiseite. Hinter ihr explodierte das Blattwerk unter der Wucht des Einschlags, dann prallte die Nagelkeule gegen einen Baumstamm. Die Spitzen zerfetzten die Rinde, drangen ein und blieben stecken.
    Der Mann zerrte daran, aber er war zu langsam. Libuses Schwert rammte durch das Leder der Schürze in seine Seite. Er stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, ließ die Keule los und versuchte, mit bloßen Händen nach seiner Gegnerin zu schlagen. Vergeblich. Er taumelte drei, vier Schritte hinter ihr her, dann krachte er der Länge nach auf den Boden und blieb auf dem Gesicht liegen. Libuse näherte sich ihm vorsichtig, bekam den Griff des Kurzschwerts zu packen und zog es aus seinem Körper. Der Mann regte sich nicht mehr.
    Überall Affen, verzerrte Schemen hinter Laub. Blitzschnell vorüberzuckende Schatten. Gestalten mit viel zu langen Armen, viel zu großen Zähnen. Tückische Augen, wachsam, respektvoll. Wut, ja, aber auch Furcht – und Verstehen?
    Vorsicht! Hinter dir!
    Sie wirbelte herum, doch diesmal war sie nicht schnell genug. Ein breiter Ast hieb gegen ihre Schulter und warf sie von den Füßen. Ihre Finger öffneten sich in dem instinktiven Versuch, irgendwo Halt zu finden, und verloren den Schwertgriff. Die Waffe sauste neben ihr ins Gebüsch und war fort.
    Als sie sich auf den Rücken rollte, sah sie, wie der Wesir mit wehendem Gewand

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