Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
hätte jedes einzelne umarmen mögen.
Vorsichtig legte er Favola auf ihrem Lager ab. Ihre Wangen waren eingefallen, obgleich es ihnen allen nach wie vor nicht an Nahrung und Wasser mangelte. Favolas Augen schienen tiefer in den Höhlen zu liegen als noch vor wenigen Tagen, und ihre Lippen waren blutleer und aufgesprungen. Als sie zu Aelvin aufblickte, schien sie durch ihn hindurchzusehen. Dennoch verirrte sich der Schatten eines dankbaren Lächelns auf ihre Züge. Sie war zu schwach zum Sprechen.
Aelvin hatte Tränen in den Augen, als er sie in ihre Decken einschlug wie ein Kind. Seine Hilflosigkeit machte ihn ebenso wütend wie traurig, doch er wollte nicht, dass sie es bemerkte; s ie hätte sich nur die Schuld an seiner Wut gegeben. Ohne die Lumina würde Favola ihnen unter den Händen eingehen wie eine Blume am Ende des Sommers.
» Hier sind Spuren «, sagte Sinaida unvermittelt. Sie war nahe des Feuers in die Hocke gegangen und untersuchte eine Stelle im Sand. » Jemand ist hier gewesen. «
Aelvin löste sich widerwillig von Favola, während die Bedeutung dieser Worte nur langsam den Weg zu ihm fand. Er traf als Letzter bei Sinaida ein und blickte hinab auf das, was sie entdeckt hatte.
Sinaida berührte mit der Fingerspitze einen von mehreren Fußabdrücken. Libuse erhob sich als Erste und folgte der Fährte bis zum Hang der nächsten Düne. Aelvin und Sinaida schlo ssen zu ihr auf.
Die Fußspuren endeten und gingen in eine sonderbare Reihe von handtellergroßen Abdrücken über, die in viel zu weiten Abständen an der Düne hinaufführten und dahinter verschwanden. Sie waren annähernd kreisrund, als hätte jemand sie mit Fäusten in den Sand gedrückt.
» Was bedeutet das? «, fragte Libuse.
Die anderen waren ebenso ratlos.
» Vielleicht irgendwelche Markierungen? «, schlug Aelvin vor.
Libuse ging ein Stück der Strecke ab, parallel zu den Vertiefungen. Die Schrittweite – falls man es so nennen konnte – betrug fast das Doppelte ihrer eigenen.
» Eure Waffen «, sagte Sinaida unvermittelt. » Legt sie weg! Sofort! «
» Wie sollen wir Shadhan ohne Waffen die Lumina abnehmen? «, fragte Aelvin, nestelte aber schon an seinem Schwertgurt.
» Das sehen wir, wenn es so weit ist «, gab Sinaida zurück. » Beeilt euch! «
Scheppernd landeten ihre Schwert- und Messergurte au f e inem Haufen im Sand. In der Ferne ertönte ein Laut, verzerrt vom Sausen des Windes. Eines ihrer Kamele hob den Kopf und antwortete mit einem lang gezogenen Ruf.
Aelvin wollte loslaufen, zum Kamm der Düne, hinter der die Abdrücke verschwanden. Doch Albertus hielt ihn zurück.
» Warte! « Zum ersten Mal seit Tagen schien sogar Sinaida dem Magister nicht widersprechen zu wollen. » Wenn sie wollten, dass wir sie sehen, hätten sie hier auf uns gewartet. Fordern wir sie lieber nicht heraus. «
Sie ließen die Waffen, wo sie lagen, und kehrten mit klopfenden Herzen zurück zum Feuer.
Favola war bereits eingeschlafen, aber die anderen fanden in dieser Nacht keine Ruhe. Die rätselhaften Wesen dort draußen in den Weiten der Wüste und die Nähe der toten Turgauden hatten ihnen alle Müdigkeit ausgetrieben.
Die Morgendämmerung war kaum mehr als ein heller Streif am Horizont, als sie sich bereit zum Aufbruch machten. Erschöpft, wortkarg und schlecht gelaunt wickelten sie sich aus ihren Decken und erledigten die nötigen Handgriffe mit schlafwandlerischer Gleichgültigkeit. Keiner weckte Favola, bis sie alle Kamele beladen und gesattelt hatten. Die Aussicht auf einen weiteren Tag ihres Irrwegs durch das Leere Viertel und die Angst vor den unsichtbaren Mördern der Mongolen lagen wie ein Schleier um ihre Gemüter.
Schließlich ging Aelvin neben Favolas Lager in die Knie und berührte sie sanft an der Schulter.
» Aufwachen «, flüsterte er.
Sie regte sich nicht.
Er versuchte es erneut, diesmal ein wenig stärker.
Ihre Augen blieben geschlossen.
Albertus wirbelte herum, als Aelvin in Panik seinen Namen brüllte.
» Favola … sie … sie wacht nicht mehr auf! «
*
Der Magister zerrte die Decken auseinander und presste eine Handfläche auf den Wollstoff über Favolas Brust. Aelvin kauerte neben ihm, öffnete und schloss seine Fäuste und holte stoßweise Luft. Die beiden anderen standen hinter ihm, Libuse legte eine Hand auf seine Schulter.
» Sie atmet «, sagte Albertus nach einer Weile. » Ganz schwach, aber sie lebt. «
» Warum wacht sie dann nicht auf? « Aelvin starrte in Favolas Gesicht. Schneeweiß war es
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