Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Gestalt auf einer der Dünen entdeckte: langbeinig wie ein Storch, mit Proportionen, die nur im ersten Augenblick menschlich erschienen. Sie verschwand in Windeseile hinter der Kuppe, und als Aelvins Kamel endlich gehorchte und hinterherschaukelte, war auf der anderen Seite nichts als das unendliche Dünenmeer, rosarot verschwommen vor dem Abendhorizont.
» Ein Riese «, sagte Sinaida sachlich, als Aelvin zurückkehrte und Bericht erstattete. Niemand schien ernsthaft überrascht zu sein.
» Er war fast so groß wie die Düne «, sagte er.
Libuse runzelte die Stirn. » Jedenfalls hat er so ausgesehen. «
» Wie meinst du das? «
» Ist euch nicht aufgefallen, dass die Wüste uns andauernd etwas vorgaukelt? Groß wirkt klein und umgekehrt. Entfernungen verkürzen oder verlängern sich vor unseren Augen. «
» Nichts ist wirklich «, flüsterte Favola tonlos. Es waren ihre ersten Worte seit fast einem Tag.
Sie ritten weiter, bis der Himmel zwischen den Sternen pechschwarz geworden war. Wieder lagerten sie am Fuß eines Felsens und entfachten ihr Feuer unter einem Vorsprung aus geschmolzenem Stein. Brennholz war das Einzige, was di e W üste entgegen ihren Erwartungen im Überfluss bereithielt. Meist mussten sie nur eine Handbreit tief im Sand graben, ehe sie auf trockenes, brüchiges Geäst stießen, Überreste von Pflanzen, die während der seltenen Regenzeiten aus dem Boden sch oss en, um innerhalb weniger Wochen zu erblühen und zu verdorren.
» Albertus? «, fragte Aelvin, als alle sich an diesem Abend in ihre Decken gewickelt hatten. Libuse lag nahe bei ihm. » Darf ich Euch eine Frage stellen? «
» Sicher «, erwiderte der Magister müde.
» Falls wir es wirklich schaffen sollten, Shadhan einzuholen und ihm die Lumina abzunehmen « – er sah, wie Sinaida auf der anderen Seite des Feuers den Kopf schüttelte, ganz langsam und tief in Gedanken versunken – » wenn uns das gelingen sollte und Favola sie einpflanzt … Was glaubt Ihr, wird dann geschehen? Ich meine, wirklich geschehen? «
» Die Wiederkehr des Paradieses auf Erden «, sagte Albertus. » Was sonst? «
» Nein, ich meine, was werden wir sehen? «, fragte Aelvin bohrend. » Werden überall Blumen aus dem Boden sprießen, und Bäume und Gras und süße Quellen? «
Der Magister blickte nachdenklich ins Feuer. Bald sah es aus, als würde er keine Antwort geben.
» Er weiß es nicht «, sagte Sinaida unvermittelt.
Ein zorniger Blick des Magisters traf sie, doch sie ließ sich nicht von ihm einschüchtern.
» Er hat nicht die geringste Ahnung, was geschehen wird «, fuhr sie fort. » Aber darum geht es ihm auch gar nicht. «
Aelvin und Libuse waren jetzt wieder hellwach, und sogar Favola regte sich zu Aelvins Linken.
» Du bist nicht hier wegen des Gartens «, sagte Sinaida zu Albertus. Sie hatte ihm gegenüber nie das förmliche » Ihr « b enutzt. » In Wahrheit hoffst du, dass du Gott finden wirst. Den Allmächtigen selbst. Und dass er alle Zweifel, die du übe r d ie Jahre hinweg verspürt hast, auf einen Schlag fortwischen wird. «
Der Magister sah sie schweigend an. Blickte tief, tief in sie hinein, als suche er nach einem anderen, der da aus ihr sprach.
» Albertus und Zweifel? « Aelvin brachte eine Spur von Spott zustande. Er sah den Magister an. » Falls es überhaupt einen Menschen gibt, der noch nie im Leben an Gott gezweifelt hat, dann müsst gewiss Ihr das sein, nicht wahr? Ihr habt immer auf seinen Segen vertraut. Deshalb sind wir hier, oder? «
Albertus erwiderte seinen Blick nicht. Stumm konzentrierte er sich auf den flackernden Tanz der Flammen.
Sinaida schüttelte den Kopf. » Ihr seid hier, weil er einen Beweis sucht. Er weiß nicht, was passieren wird, wenn Favola die Lumina in den Wüstensand pflanzt – er hat nicht den Hauch einer Vorstellung. Ist es nicht so, Albertus? Du suchst nach der Antwort auf die Frage, ob überhaupt irgendetwas geschehen wird. Ein allerkleinster Fingerzeig Gottes. Eine Bestätigung, dass dein bisheriges Leben nicht umsonst war, dass du all die Jahre keinem falschen, verlogenen Ideal hinterhergelaufen bist. Dass die Sache, der du dich von Kind an verpflichtet hast, keine einzige große Lüge ist. «
» Genug! « Albertus sprang auf, und einen Atemzug lang sah es aus, als wollte er Sinaida eine schallende Ohrfeige versetzen. Dann aber wandte er sich abrupt ab, sodass der Sand um seine Füße aufwirbelte. Ohne ein weiteres Wort stapfte er davon.
Aelvin überlegte, ob er ihm folgen
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