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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihre Hand zurückziehen, doch Libuse packte sie mit der Linken am Unterarm und hielt sie fest.
    » Wir müssen sie loslassen! «, keuchte die Mongolin.
    Albertus schüttelte den Kopf. » Noch nicht! «
    Aelvin war, als spränge ein Teil von Favolas Pein auf ihn über. Ihm wurde übel. » Bitte «, flehte er in die Richtung des Magisters.
    » Gleich. «
    Favola bäumte sich abermals auf, noch heftiger. Sie hatten Mühe, ihre Hände festzuhalten. Und nun schrie sie, so schrill und qualvoll, dass Aelvin zurückprallte, ein, zwei Schritt weit, und rücklings im Sand landete. Auch die anderen ließen das Mädchen los, sogar Albertus.
    Favola rollte sich auf der Seite zusammen wie ein junger Hund und schluchzte herzzerreißend. Tränenströme fl oss en über ihr Gesicht. Ihr zartgliedriger Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt, aber als Albertus sie beruhigend an geschützter Stelle berühren wollte, zuckte sie zurück, als hätte er mit einem glühenden Eisen nach ihr gestoßen.
    Sie redeten jetzt alle durcheinander. Jeder wollte irgendetwas tun, sie beruhigen, ihr irgendwie beistehen, doch keiner wagte, ihr zu nahe zu kommen.
    Schließlich war es Aelvin, der Albertus sanft, aber bestimmt beiseite schob und sich neben Favola kniete. Ihre Augen waren rot und glänzten, aber sie wandten sich in seine Richtung und erkannten ihn. Da weinte sie nur noch heftiger, während alle starr vor Hilflosigkeit um sie herumstanden und keiner wusste, was er sagen oder tun sollte.
    Es dauerte lange, ehe sie sich so weit beruhigte, dass ihr Schluchzen allmählich verebbte und die Tränen versiegten. Sie lag da, verkrampft, gequält, zu schwach zum Sprechen. In ihren Augen war das Wissen um ihrer aller Ende.
    » Wir müssen weiter «, sagte Albertus. Sinaida stimmte zu. Aelvin und Libuse hätten Favola lieber mehr Zeit gegeben, doch sie erkannten die Dringlichkeit des Aufbruchs.
    Wieder war es Aelvin, der Favola beim Aufstehen half, doch diesmal zeichnete sich ab, dass sie nicht mehr würd e l aufen können. Selbst die Distanz zum Kamel war zu groß für sie, und so trug er sie bis dorthin und hob sie mit Libuses Hilfe in den Sattel, während Sinaida und Albertus sie mit den breiten Lederbändern festzurrten. Es war, als wäre Favola eine Gefangene. Sie alle hatten Gewissensbisse, so mit ihr umzugehen, doch keiner wusste einen anderen Weg.
    Schließlich saß sie dort oben zwischen den Höckern, krumm und zusammengesunken, aber noch immer wach, und in ihrem Blick lag ein solcher Vorwurf, dass Aelvin ihm nicht länger standhalten konnte. Er fühlte sich schuldig, obgleich sie doch zumindest seinen Tod schon früher gesehen hatte; es war, als hätten sie ihr Gewalt angetan und sie zu einer Art Werkzeug degradiert, das es so lange am Leben zu halten galt, bis sie das Ziel ihrer Mission erreicht hatten. Bis sie ihren Zweck erfüllt hatte. Vielleicht war das der schrecklichste Gedanke von allen.
    Aelvin sah Libuse an und wusste, das sie ähnlich fühlte. Es war eine Schuld, die sie teilten und die sie in gewisser Weise verband. Aber um welchen Preis für Favola?
    Während sie weiterritten, dem nächsten finsteren Steinmonument am Horizont entgegen, sprachen sie kein Wort miteinander. Beinahe war Aelvin froh über die Distanz, zu der ihr Ritt auf den schmalen Dünenkämmen sie zwang. Er hätte es nicht ertragen, über das zu reden, was sie getan hatten.
    Doch auch ihr Schweigen machte es nicht ungeschehen.
    *
    Seit dem Morgengrauen hatte kein Wind mehr geweht. Die Stille der Wüste war vollkommen, so als hielte das Land selbst den Atem an ob der Ungeheuerlichkeit, die sich unter seiner gnadenlosen Sonne abgespielt hatte.
    Zum ersten Mal entdeckten sie Spuren eines Kamels. Keiner zweifelte, dass es Shadhans Fährte war, die sich vor ihnen durch den Sand zog.
    Als sie den höchsten Punkt einer Düne erreichten, die viele der umliegenden Erhebungen überragte, da sahen sie, dass sich die Landschaft vor ihnen kaum merklich wandelte.
    Schon gleich nach ihrer Ankunft an den Gestaden des Leeren Viertels hatten sie festgestellt, dass der Sand bei Tage mehrfach seine Farbe änderte. Morgens und abends leuchtete er in einem satten Gelb, in das die niedrig stehende Sonne zahllose Schattierungen zauberte. Mittags und nachmittags aber war er so weiß wie ein Schneefeld, und es schmerzte in den Augen, länger als einen Moment auf denselben Punkt zu blicken.
    Jetzt aber, von der Kuppe der hohen Düne aus, mischte sich etwas anderes in das Glutweiß der

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