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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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meine ich. Ich … ich kann ihren Schmerz spüren, weißt du? Sie und ich … wir kennen einander gut. Wir sind wie Schwestern. Deshalb braucht der Erzbischof nicht nur sie, sondern auch mich. Die Lumina allein würde vergehen ohne mich, innerhalb weniger Tage, vielleicht noch schneller. « Sie wandte den Kopf und blickte Aelvin mit großer Ernsthaftigkeit an. » Ich bin ihre Hüterin. Die Hüterin der Lumina. «
    Und mit einem Mal glaubte er ihr. Ob es etwas in ihren großen schwarzen Augen war oder im Klang ihrer Stimme, vielleicht einfach nur ein Gefühl – er wusste es nicht. Aber er glaubte ihr. Alles, was sie sagte. Jedes einzelne Wort.
    Er betrachtete wieder die Pflanze. Favolas behandschuhte Finger ruhten schützend auf dem Behälter. » Was genau ist sie wirklich? «, fragte er.
    » Du bist mir noch einen Schwur schuldig. Dass du mit niemandem darüber sprichst. «
    » Ich schw ö r’s . «
    » Bei allem, was dir heilig ist. «
    » Bei Gott. Und bei meinen toten Eltern. Und so wahr ich Aelvin heiße. «
    Favolas Mundwinkel verzogen sich zum Ansatz eines Lächelns, aber dann nickte sie zufrieden.
    » Die Lumina «, sagte sie, » ist die einzige Überlebende de s G arten Eden. «
    *
    Wenn Schnee fiel über den Wäldern, dann fiel er meist in dichten Vorhängen, die es unmöglich machten, weiter als einen Steinwurf zu blicken. Oftmals sah man kaum, was nur wenige Schritte vor einem lag. Und manchmal wurde buchstäblich die Hand vor Augen unsichtbar, verborgen hinter einem wirbelnden Flockenwall. Dann war es, als senke der Winterhimmel selbst sich auf die Erde herab, umhüllte sie mit seinem eisigen Atem und der absoluten, totengleichen Stille des Grabes.
    Favola hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein Windstoß neuen Schnee in ihre Gesichter trieb. Nur wenige Atemzüge später waren das Kloster und die Wälder, sogar die ganze Welt verschwunden.
    Die Spitze des Glockenturms erhob sich einsam aus dem Nirgendwo, herausgerissen aus der Wirklichkeit in einen Mahlstrom aus Schnee und Eis und jammernden Winden.
    » Du glaubst mir nicht «, stellte sie fest, als er nicht gleich eine Antwort gab. Und was hätte er auch sagen sollen?
    » Ich … doch. « Er stockte. » Ich glaube dir. « Aber tat er das wirklich? » Es ist nur – «
    » Eigentlich kann man es nicht glauben, nicht wahr? « Sie lächelte traurig, was besser war als der stumme Vorwurf, mit dem sie ihn zuvor gestraft hatte. » Am Anfang wollte ich es selbst nicht wahrhaben. Bis sie mich ausgewählt hat. Aus all den Nonnen im Kloster hat sie mich erwählt. «
    » Als Hüterin «, sagte er langsam.
    » Ja. Als ihre Schwester. Und Beschützerin. Als ihre Stimme. «
    Er betrachtete die Pflanze, so klein und schmächtig hinter dem dunklen Glas, er sah die kränkliche Form ihrer Blätter – und dann wieder in Favolas Gesicht. Er fragte sich plötzlich, ob das Ausgezehrte in den Zügen des Mädchens vom Zustand der Lumina herrührte, und ob sich womöglich – aber war das nicht völlig undenkbar? – die Krankheit der Pflanze auf Favola übertrug.
    Du glaubst es tatsächlich, wisperte es in ihm. Wie auch immer sie es angestellt hat – du vertraust ihr so sehr, dass dir solche Gedanken schon ganz von selbst kommen. Als wären sie das Selbstverständlichste der Welt.
    Er massierte sich unbeholfen eine Schläfe. » Sagt er das? Albertus? Dass sie … dass sie aus dem Garten Eden stammt? «
    Favola schüttelte den Kopf. Vereinzelte Schneeflocken glitzerten in ihrem struppigen schwarzen Haar. » Er weiß es. Aber er hat es mir nicht eingeredet, wenn du das meinst. Ich kannte die Lumina, lange bevor ich ihn kannte. Sie war das Geheimnis unseres Klosters. In unseren Mauern wurde sie seit vielen Jahrhunderten aufbewahrt – seit über tausend Jahren. Es hat immer Hüterinnen der Lumina gegeben, ich bin nur die letzte. Vor mir gab es viele andere. Sie alle mussten das Kloster niemals verlassen, weil die Lumina dort sicher war. Bis Konrads Männer kamen. « Sie senkte den Blick. » Ich habe versagt, fürchte ich. «
    » Du? « Trotz all dieser unglaublichen Dinge spürte er den heftigen Drang, sie zu beschützen – was, wenn man es genau bedachte, beinahe noch unglaublicher war. » Wie hättest du sie gegen bewaffnete Krieger schützen können? «
    Sie liebkoste den Glasbehälter jetzt wieder, und für einen Augenblick schien es Aelvin, als ginge ein Raunen durch die schmalen Blätter der Lumina wie ein unmerklicher Windhauch. Reckten sich die braunen Spitzen der Hand

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