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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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des Mädchens entgegen? Das war völlig unmöglich.
    » Irgendwie «, sagte Favola unsicher. » Ich hätte sie irgendwie beschützen müssen. «
    » Aber das hast du! Indem du sie fortgebracht hast. «
    » Das wäre mir nicht gelungen ohne den Magister. Ohne seine Hilfe wären die Lumina und ich nun in der Hand von Konrads Schergen. «
    Das Schneetreiben rund um den Glockenturm wurde noch heftiger. Der Klosterhof und die angrenzenden Gebäude waren vollends hinter milchweißen Wolken verschwunden, und Aelvin erschien die Szenerie mehr und mehr wie in ein Traum, ein befremdliches, Angst einflößendes Nichts, das sie abschnitt von allen Gesetzen der Vernunft.
    Inmitten dieses Wirbelns und eisigen Tobens fiel es leicht, zu akzeptieren, was Favola ihm da eröffnete. Jede neue Ungeheuerlichkeit. Jedes Gespinst seiner Vorstellungskraft. Bilder entstanden in seinem Geist: Feuerschein auf blitzenden Schwertklingen; das Donnern von Hufen; zertrampelte, zerfetzte Körper; das Geschrei der Sterbenden; Reihen verhüllter Nonnen, die vor einem Altar knieten und Rosenkränze beteten, während eiserne Handschuhe gegen das Kirchenportal hämmerten; dann noch mehr Schreie, noch mehr Tote; Blut, das über weißes Ornat spritzt und über die Stufen des Altars; Blut, das sich mit dem Weihwasser im Taufbecken mischt.
    » Favola! «
    Die gestrenge Stimme riss Aelvin aus dem Nachtmahr, der sich vor seinem inneren Auge aufgetan hatte wie ein apokalyptisches Triptychon. Beide wirbelten herum zum Treppenaufgang.
    » Bei Gott, Mädchen, was hast du getan! «
    Vor der Öffnung im Boden erhob sich groß und Furcht einflößend die Gestalt des Magisters, noch gewaltiger unter seinem Mantel mit den zahllosen Fellflicken, die ihn seltsam wild und vorzeitlich erscheinen ließen. Nicht wie ein gelehrter Mann der Kirche stand er da, sondern wie eine archaische Erscheinung, dunkel und zornig, mit Händen, die sich wutentbrannt öffneten und schl oss en und so gar nicht aussahen, als hätten sie sich je zu stillem Gebet gefaltet.
    Einen Augenblick lang war Aelvin sicher, dass Albertus ihn packen und über die Brüstung in die Tiefe schleudern würde. Aelvin kannte sein Geheimnis. Er wusste um ein Mysterium, für das bereits Dutzende gestorben waren. Diese Erkenntnis durchfuhr ihn wie Blitz und Donner zugleich.
    Favola raffte ihren Mantel über den gläsernen Schrein, hob die Lumina von der Mauerbrüstung und presste sie schützend an sich, so als fürchtete sie in diesem Moment nicht die Männer des Erzbischofs, sondern allein den Magister.
    » Ich … sie hat nicht … «, stammelte Aelvin dumpf.
    Favola senkte den Blick.
    Albertus ballte die Fäuste und kam auf ihn zu.

DES BISCHOFS BLUTHUND
    D ie Wärme des Erdlichts war noch immer in ihr, als Libuse zum Turm zurückkehrte. Nach wie vor war sie wütend, nicht weniger enttäuscht als vor Stunden, und doch durchdrungen von der Kraft der Bäume und der Erde, von der Gewissheit, dass sie Freunde hatte, Gefährten aus Holz und Erde und Wurzelwerk.
    Nachtschatten blieb am Waldrand zurück. Er hatte sie wie immer behütet, dort draußen, über sie gewacht als ihr Schutzengel.
    Das passt zu mir, dachte sie finster, dass der Engel, der mich beschützt, ein mannsgroßer Keiler ist, mit Schlamm und Schmutz beschmiert, mit Hauern wie Schwerter. Ein Wesen der Wälder.
    Sie betrat die Halle und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass draußen der Schnee von den Vorsprüngen des Holzturmes rutschte und die Stufen des Aufgangs halb unter sich begrub.
    Das Feuer war fast heruntergebrannt. Ihr Vater war nirgends zu sehen. Albertus war längst fort, sie hatte seine gefrorenen Spuren im Schnee entdeckt. Es hatte wieder zu schneien begonnen, abrupt und mit einer Kraft, die Libuses ganze Wut widerspiegelte, doch die Spuren des Magisters waren nicht zu übersehen gewesen. Keine Spur war leichter zu finden und zu deuten als die von Menschen. Besonders die zorniger Menschen.
    Und dass Albertus im Zorn gegangen war, daran gab es keinen Zweifel. Ebenso wie sie selbst. Was darauf hindeutete, dass Corax nicht minder wütend sein würde.
    » Vater? «, rief sie in die Halle. Sie trat an die Feuerstelle und legte Holz nach. Bald würde sie neues aus dem Schuppen hereinholen müssen. Die leeren Metbecher standen neben den Stühlen. Keiner der beiden hatte noch etwas getrunken, nachdem Libuse davongestürmt war.
    » Vater! Wo steckst du? «
    Schritte polterten oben auf der Treppe. Sie hörte die Luke zuschlagen. Corax hatte

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