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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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allmählich bekam sie sich wieder unter Kontrolle. Sie schloss für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, war sie ruhiger.
    » Verzeih «, sagte sie leise, wenngleich auch immer noch ein wenig atemlos. » Du kannst das alles nicht wissen. Ich war ungerecht. Ich bin … All diese Tage im Schnee, weißt du … d ie Kälte … und das Schweigen des Magisters … Es tut mir wirklich Leid. Wie kann ich verlangen, dass du akzeptierst, wofür ich selbst so viele Jahre gebraucht habe. «
    Sie überraschte ihn immer wieder aufs Neue. Jetzt durch ihr unverhofftes Entgegenkommen.
    » Wir versuchen ’ s noch mal, hm? «, fragte er vorsichtig. » Freunde zu sein, meine ich. «
    » Ja … ja «, sagte sie, » Warum nicht. «
    Unbeholfen fuchtelte er mit den Händen. » Ich komme auch nicht näher, wenn du nicht willst. «
    Sie seufzte erneut und schüttelte sachte den Kopf. » Durch den Umhang besteht keine Gefahr. «
    » Hast du … entschuldige, wenn ich das frage, aber hast du irgendeine … Krankheit? « Er fürchtete, sie damit erneut zu verletzen, doch zu seiner Erleichterung blieb sie vollkommen ruhig.
    » Nichts Ansteckendes. Mach dir keine Sorgen. «
    » Nur um dich. «
    Da lächelte sie verhalten. » Die Lumina braucht Licht, deshalb bin ich hier heraufgekommen. Um diese Jahreszeit ist es überall so dunkel, aber hier oben ist es schön. «
    Aelvin sah sich zum ersten Mal bewusst auf dem Glockenturm um. Plötzlich verstand er, was sie meinte. Hier war es in der Tat sehr viel heller als an den meisten anderen Plätzen der Abtei. Durch die offenen Seiten fiel von überallher Tageslicht herein, reflektiert vom Schnee, der sogar das Gebälk des Dachstuhls erhellte. Und die Aussicht über die Wälder war atemberaubend. Ihm war, als nähme er die Umgebung zum ersten Mal wahr, als wäre er all die Jahre vorher mit geschlossenen Augen durch diese großartige Landschaft gelaufen: das sanfte Auf und Ab der bewaldeten, tief verschneiten Hügel, darüber in allen Richtungen der endlose Himmel, Ehrfurcht gebietend sogar heute, da er winterweiß und verhangen war. Die sonst so bedrohliche Schlucht erschien ihm unbedeuten d a us dieser Höhe. Das Aquädukt wirkte trotz seiner wagemutigen Bauweise kümmerlich vor diesem zerklüfteten Panorama.
    Und winzig vor der weißen, wilden Weite war da noch die Silhouette der alten Rüstung an ihrem Pfahl, aufgepflanzt auf dem Hügel.
    Favola folgte Aelvins Blick.
    » Wer war er? «, fragte sie.
    » Keiner weiß das so genau. Wir nennen ihn den Leeren Ritter Ranulf. «
    Favola hob erstaunt eine Braue.
    » Er war ein Raubritter auf der Flucht «, sagte Aelvin rasch, bevor sie sich über ihn lustig machen konnte. » Er hat sich wohl als Reisender ausgegeben und hier im Kloster Unterschlupf gefunden. Der Erzbischof selbst hat die Männer angeführt, die ihn verfolgten. Er hat den Abt beschuldigt, mit den Räubern unter einer Decke zu stecken, in Wahrheit aber wollte er ihn bestrafen, weil meine Brüder Handel mit dem Grafen von Jülich getrieben haben. Konrad wollte sie einschüchtern … Wie auch immer, das größte Unheil konnte abgewendet werden, jedenfalls für die Abtei. Konrad ließ den Raubritter bei lebendigem Leib auf einen Pfahl spießen, mit Ketten sichern und auf dem Hügel dort aufpflanzen. Und wehe dem, der es wagt, ihn herabzunehmen. Er muss dort oben bleiben, bis Wind und Wetter ein Einsehen haben. Aber er ist ein halsstarriger Kerl, unser Ritter Ranulf, und so wie es aussieht, wird er wohl noch am Jüngsten Tag dort oben hängen, eingerostet und quietschend. «
    » Das ist eine scheußliche Geschichte. «
    » Ich hab sie nicht erfunden. Es ist die Wahrheit. «
    » Immer wieder Konrad, nicht wahr? Als wäre er für alles Übel in der Welt verantwortlich. «
    » Er hat seinen Anteil daran, so viel steht fest. «
    Favola nickte langsam. » Die Lumina darf ihm nicht in di e H ände fallen. « Sie schlug ihren Mantel zurück, hob den Glasschrein mit der wunderlichen Pflanze auf die Brüstung und presste ihn mit sanftem Druck tief in die Schneekuppe, damit er nicht abrutschen konnte.
    Aelvin musterte das Gewächs durch das Glas hinter dem Gitter. » Warum erfriert sie nicht? «
    » Sie ist die Lumina. Sie lebt länger als alle anderen Pflanzen. «
    » Sie kann nicht verwelken? «
    » O doch, gewiss. Sie hat schon ein paar Blätter verloren, seit wir aufgebrochen sind. Ich war nicht sicher, ob sie überhaupt so lange durchhält. Das wäre schrecklich – wenn sie stirbt,

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