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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Pflanze in einem sonderbaren Behälter, ein wenig kleiner als die hölzernen Eimer, mit denen die Mönche Wasser aus dem Klosterbrunnen schöpften. Er war viereckig, mit Wänden aus dickem, bräunlichem Glas, durch das man verschwommen das schlanke, vielblättrige Gewächs dahinter erkennen konnte. Rundum waren die Glaswände durch engmaschiges eisernes Gitterwerk geschützt, ohne jede Verzierung, aber aus Fäden gewirkt, die kaum breiter als Pferdehaar sein konnten. Ein Kunstwerk, ohne Zweifel, nicht geschaffen, um dem Auge zu schmeicheln, sondern um den Glaskasten und seinen Inhalt auf die bestmögliche Weise zu schützen. Ein Beweis vortrefflichster Schmiedekunst und, für sich genommen, gewiss ein kleines Wunder.
    Die Pflanze hinter dem Glas erschien im Vergleich dazu banal. Aelvin vermochte nicht einmal zu erkennen, um welche Art von Gewächs es sich handelte. Fast schien es ihm eine Distel zu sein, doch die Spitzen der zahlreichen schlanken Blätter waren nicht hart und stachelig, sondern bogen sich sanft nach außen. Sie hatten die Farbe von Salat, der zu lange in der Klosterküche gelegen hat, ein welkes, ungesundes Grünbraun, und Aelvin bezweifelte, dass dies nur an der Tönung des Glases lag.
    » Du musst schwören, niemandem von ihr zu erzählen «, flüsterte Favola, als fürchtete sie, die Pflanze durch laute Worte zu stören.
    Sollte er dieses Spiel mitspielen? Oder sagen, was er wirklich dachte? Nun, was blieb ihm schon übrig in Anbetracht ihrer Ehrfurcht vor diesem unansehnlichen Kraut?
    » Wie hast du sie genannt? «, fragte er, um Zeit zu gewinnen. » Lumina? «
    Sie nickte.
    » Von einer solchen Pflanze habe ich noch nie gehört. «
    » Lumina ist ihr Name, nicht ihre Art «, sagte sie. » Es gibt keine andere wie sie. Schon seit langer, langer Zeit nicht mehr. «
    Ein seltenes Gewächs für den Kräutergarten des Erzbischofs? War das die Antwort? Kaum vorstellbar. Ein halb verwelktes Grünzeug war schwerlich Grund genug, Menschen zu töten, nicht einmal für einen so verworfenen Charakter wie Konrad von Hochstaden.
    Mit einem Seufzer entschied er, offen zu sein. » Ich versteh das nicht. Du meinst allen Ernstes, die Männer des Erzbischofs verfolgen euch wegen dem hier? Einer Pflanze? «
    » Sie ist nicht irgendeine Pflanze, sondern – «
    » Die letzte ihrer Art. Das hab ich verstanden. «
    Ihr Gesicht, eben noch vor Aufregung zart gerötet, wurde wieder blass und kränklich. Augenblicklich bedauerte er seine Grobheit. Gott, lernte er denn nie dazu? » Entschuldige, ich wollte nicht … also, dich beleidigen, meine ich. Oder sie. « Er deutete auf die Lumina.
    » Ach nein? «, entgegnete sie düster. » Sie ist doch nur eine Pflanze. « Blitzschnell raffte sie den Mantel über das gläserne Gefäß und hob es auf. » Ich hätte sie dir nicht zeigen sollen. Albertus hatte Recht. Wir dürfen niemandem vertrauen. « Sie wandte sich ab und trat mit ihrem Schatz an die Treppe. » Niemandem vertrauen «, murmelte sie noch einmal.
    Aelvin wusste für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Was, um Himmels willen, hatte sie denn erwartet? Dass er vor Ehrfurcht erstarrte, wenn sie ihm die Pflanze zeigte?
    Am besten, du verschwindest, durchfuhr es ihn. Dominikanerinnen, die mystisches Gemüse mit sich herumtragen und ihm – Gott bewahre! – Namen geben, sollte man meiden wie der Teufel die Heilige Jungfrau.
    Aber hatte nicht der Herr selbst einst die Gestalt eines Dornbuschs angenommen? Und beteten die Mönche nicht jeden Tag zu einem Kreuz aus Holz, weil sie darin Gottes Werk erblickten?
    Warum also sollte für Favola das Göttliche nicht in einer Pflanze wohnen?
    Schlagartig erinnerte er sich an das Licht, das Libuse im Wald heraufbeschwor, an den Schein aus dem Inneren der alten Eiche. Sie war zweifellos mehr als ein gewöhnlicher Baum gewesen. Wie konnte er sich da anmaßen, Favolas Pflanze als simples Kraut abzutun, wenn sie selbst doch etwas anderes darin sah? Er schämte sich und kam sich vor wie ein dummer Junge.
    Voreilig trat er hinter Favola und streckte eine Hand nach ihrer Schulter aus. » Bitte «, sagte er, » sei nicht wütend auf mich. Es tut mir Leid. Ich – «
    Sie glitt unter seiner Hand hindurch, ehe er sie berühren konnte. » Fass mich nicht an! «
    Gott, er – » Versuch das nie wieder! « Ihre Stimme klang hoch, fast hysterisch. » Nie, nie wieder! «
    » Schon gut «, stammelte er verdutzt und ließ die Hand sinken.
    Ihr Atem raste, ihre Lider flatterten. Erst ganz

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