Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
keine Berge und keine Abgründe gab.
» Wie alt bist du? «, fragte Kasim.
» Zwanzig Jahre. «
» Und du bist noch keinem Mann versprochen worden? «
» Nein. « Und als wäre eine Entschuldigung vonnöten, fügte sie hinzu: » Bei uns Mongolen heiraten die Frauen oft später als bei anderen Völkern. Der Bräutigam muss seine Braut von deren Familie freikaufen, oft zu einem hohen Preis. Junge Männer können sich das nicht leisten. Und wir Frauen können warten. «
» Aber in deinem Fall spielt noch etwas anderes eine Rolle, oder nicht? «
Sie nickte langsam. » Hulagu wird mich mit irgendeinem Herrscher der unterworfenen Reiche verheiraten. «
» Und das gefällt dir nicht? «
» Ich mache mir keine Gedanken darüber. «
» Das kann ich nicht glauben. «
» Du? « Sie stieß ein humorloses Lachen aus. » Du, der du von Kind an nur für deinen Glauben gelebt hast, an Allah, an den Imam, sogar an deinen Nizariführer? Dein ganzes Leben ist von anderen bestimmt worden. «
» Und ich habe oft darüber nachgedacht. «
Das überraschte sie. » Hast du deine Leute deshalb verraten? Weil dir Zweifel an deinem Glauben gekommen sind? «
» Nein «, erwiderte er entschieden, aber in seinem Gesicht sah sie Anzeichen einer tiefen Qual. » Ich habe niemanden verraten, auch wenn deine Leute das so sehen. Was habe ich denn getan? Ist ein Nizari gestorben, weil ich … meine Entscheidung getroffen habe? Kein einziger. Habe ich Krieger in die Festung geführt? Ich kann es gar nicht, weil es keinen Weg hinein gibt, jedenfalls kenne ich keinen. Alles, was ich getan habe, ist, über die Truppenstärke auf Alamut zu spekulieren. Aber ich bin sicher, Hulagu hat Ratgeber, die solche Schätzungen ebenso gut abgeben könnten. «
» Du hast mich in die Geheimnisse der Nizaris eingeweiht «, gab sie zu bedenken.
» Ja «, stellte er fest. » Ich habe eine Ungläubige einige Kampftechniken der Nizaris gelehrt. Aber ich habe dadurch auch Verständnis für uns in ihr geweckt. «
» Ich bin keine Ungläubige! «, entgegnete sie hastig, weil der Unterton seiner Frage sie verwirrte. » Wir Keraiten sind Christen. Hulagu mag an etwas anderes glauben, aber meine Schwester und ich wissen, dass es nur einen einzigen Schöpfer gibt. Hulagu respektiert das. «
Kasim blickte auf seine Fingerspitzen und verschränkte sie miteinander. » Er ist ein sonderbarer Mann. Ein Eroberer, ein grausamer Barbar aus dem Osten, ein Schlächter von Frauen und Kindern. Und doch beweist er ein ums andere Mal Achtung vor den Überzeugungen anderer. « Ein Lächeln flackerte über seine sonnengegerbten Züge. » Ich hoffe sehr, ich fange nicht an, ihn zu mögen. «
» Er könnte während eines Lidschlags Befehl geben, dich zu töten, und hätte es beim nächsten schon vergessen. «
Kasim lächelte verhalten. » Ich werde ihn nicht mögen. «
» Du sagst, Hulagu ist sonderbar, und doch ist er nur hal b s o sonderbar wie du, Kasim von den Nizaris. « Sie sah ihn jetzt sehr fest an. » Worauf willst du hinaus? «
» Khur Shah wird bald Verhandlungen anbieten. Hulagu weiß, dass nicht er es war, der damals die Meuchelmörder nach Karakorum entsandt hat, sondern sein Vater. Khur Shah ist kein schlechter Mann. Und, wer weiß, vielleicht wird Hulagu ihn anhören. «
» Darüber wäre ich froh. Es wäre schade, wenn die Nizaris untergingen. « Sie fand selbst, dass » schade « ein viel zu schwaches Wort war, doch sie fand kein besseres. » Ich habe viel von dir gelernt, Kasim, aber ich würde gerne noch mehr lernen. Viel mehr. Über eure Lehren des Kampfes. Über eure Philosophie. Und über den Garten des Alten vom Berge. «
» War es falsch, dir davon zu erzählen? «
» Ich wünsche mir nur, ihn zu sehen. «
» Es ist der wunderbarste Garten, den man sich vorstellen kann. Größer und üppiger und magischer als alles andere auf der Welt. «
Sie hob eine Augenbraue. » Und er befindet sich dort drüben, in Alamut? «
» Ja – und nein. « Er machte eine Handbewegung, die sie von weiteren Fragen abhielt. » Aber nicht darüber wollte ich mit dir sprechen. Es gibt nur einen Weg, das Wissen der Nizaris zu bewahren. Wenn Khur Shah Verhandlungen aufnimmt, muss Hulagu darauf eingehen – und deshalb wäre es gut, wenn die Nizaris eine Fürsprecherin in eurem Lager hätten. «
Sie riss den Mund auf, wollte empört widersprechen, schluckte die Entgegnung aber hinunter und hielt einen Moment inne. » Auf mich würde niemand hören «, sagte sie schließlich.
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