Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
einen von ihnen zu nennen. « Er zupfte an seiner blauen Baumwolltracht. » Sieh mich an, man könnte mich glatt für einen Mongolen halten. «
Diese Anmaßung ließ sie schlucken. » Du bist nur ein Sklave «, wies sie ihn scharf zurecht, » vergiss das nicht! «
» Natürlich nicht, Prinzessin. «
» Wenn Khur Shah also keine Schlacht will, dann heißt das, dass er aufgeben wird, nicht wahr? «
» Früher oder später, davon bin ich überzeugt. «
» Und warum dann die Angriffe jede Nacht? Damit schafft er sich nicht gerade Freunde. «
» Um seine Verhandlungsposition zu stärken. Um euch zu zeigen, dass mit den Nizaris trotz allem nicht zu spaßen ist. «
Sinaida ging ihm gegenüber in die Hocke. Sie musste in die Sonne blinzeln, um ihn anzusehen – noch ein Zeichen ihres Vertrauens, denn bei einem Angriff wäre sie dadurc h i m Nachteil. » Du glaubst, die Nizaris könnten Hulagu töten, wenn sie es wollten, oder? «
» Jederzeit. Würde Khur Shah euch all seine Männer zugleich auf den Hals hetzen, würde eine Hand voll auf jeden Fall bis zum Il-Khan vordringen. Hulagu wäre tot, ehe er einen Gedanken an seinen Nachfolger verschwenden könnte. Aber welchen Gewinn hätte Khur Shah dadurch? Eure Streitmacht wäre unverändert groß, würde Alamut noch am selben Tag einnehmen und ihn selbst, sagen wir, bei lebendigem Leibe rösten. «
» Wir sind einfallsreicher als das, Kasim. «
» Verzeiht, Prinzessin, das weiß ich. «
Nun lächelten sie beide, wie zwei Verschwörer, die sich gegenseitig überführt hatten.
» Also veranstaltet er diese Geplänkel des Nachts, um Hulagu zu beeindrucken. « Sie nickte langsam, während ihr die Argumentation des Arabers immer überzeugender erschien.
» Und das bedeutet, dass er bald Verhandlungen aufnehmen wird. «
» Er wird es versuchen. «
» Und wenn Hulagu ablehnt? «
» Werden dreihundert Attentäter ausschwärmen und ihn töten. Khur Shah hätte nichts mehr zu verlieren. Ob Hulagu selbst Alamut niederreißt, oder seine Nachfolger, welche Rolle spielt das? « Kasim erhob sich von dem Felsen und seufzte. » Das alles ist ein schmutziges Spiel, Prinzessin. «
Während sie gesprochen hatten, hatte Sinaida ihren langen schwarzen Zopf gedankenverloren über die Schulter nach vorne gezogen und mit den Fingern an den geflochtenen Strängen gespielt. Jetzt warf sie ihn energisch auf den Rücken. Auch sie erhob sich, klopfte sich die dunkelrote Tracht ab und zog die Schärpe um ihre Taille straff; der Stoff war mit Gold durchwirkt und verriet als einziges Zeichen ihre edle Herkunft. Über dem Kleid trug sie zwei Jacken aus Fuchsfell, di e u ntere mit dem Pelz nach innen, die obere gegen Wind und Schnee mit der Haarseite nach außen. Auch ihre Mütze war aus Fell, wenn auch aus dem eines weißen Wolfes; Hulagu selbst hatte ihn erlegt und ihr zum Geschenk gemacht.
Sie nahmen die letzte Etappe des Aufstiegs. Es waren nur noch wenige Schritte bis zum Gipfel, ein nach Norden hin leicht abfallendes Plateau aus sonnenverbranntem Fels. Wieder wunderte sich Sinaida über die Widersprüchlichkeit dieser Landschaft; sie sah aus, als müsse hier ewiger Sommer herrschen, und doch hielt seit Wochen eisige Kälte das Gebirge fest im Griff.
Kasim hatte nicht übertrieben, als er den Anblick gepriesen hatte.
Sie befanden sich auf einem Berg, der etwa ebenso hoch war wie jener, auf dem sich Alamut erhob. Von hier aus war die Festung gut zu erkennen. Alamut war aus hellbraunem Fels erbaut, schmucklos und wettergegerbt. Kasim hatte ihr erzählt, dass die Festung nicht von den Nizaris errichtet worden war – wie überhaupt viele der Felsenburgen im Elburzgebirge, in denen sie auf die Sekte gestoßen waren –, sondern einst einem Sultan gehört hatte. Vor über zweihundertfünfzig Jahren hatte sie der Gründer der Nizaris, Hassan-i-Sabbah, durch eine List an sich gebracht. Hassan war ismailitischer Prediger gewesen, ehe er sich hier zum Oberhaupt des Nizarikults emporgeschwungen hatte. Er war der erste Alte vom Berge gewesen, Khur Shah galt als seine jüngste Inkarnation.
Die Mauern der Burg waren hoch und gingen an ihrem Fuß in glatte Felswände über. Ihre Einnahme würde schwer werden, war aber nicht unmöglich. Es gab einen schmalen Pfad, der sich den Berg hinaufwand, unterwegs immer wieder zwischen Felsen und Klüften verschwand, dann und wann aber wie ein helles Lederband in den Schatten leuchtete. Die Nizaris hatten dort spitze, mehrstachlige Eisendorne im Sand vergraben,
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