Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
die selbst dicke Ledersohlen durchstießen; einig e K undschafter der Mongolen hatten schmerzhafte Bekanntschaft damit gemacht und würden wochenlang nicht mehr laufen können.
Es gab zwei Türme, der eine breiter und höher als der andere. Auf ihren Zinnen, aber auch oben auf den Wehrgängen erkannte Sinaida Gestalten, doch es war mehr deren Bewegung, die sie wahrnahm, nicht die Männer selbst, denn in ihren sandfarbenen Kleidern hoben sie sich kaum vom Hintergrund der Berghänge ab.
Weit beeindruckender als der Anblick Alamuts aber war das Heerlager der Mongolen unten im Tal. Dabei war das, was sie von hier oben aus sehen konnten, nur ein kleiner Zipfel des mächtigen Heerwurms. In diesem und den angrenzenden Tälern lagerten dreihunderttausend Krieger, denen in einem schier endlosen Tross ihre Familien, manchmal gar halbe Stämme, folgten. Schätzungen sprachen von zwei Millionen Menschen, die sich im Gefolge Hulagus von Osten her nach Arabien wälzten; niemand wusste es genau. Und obgleich die Mongolen bereits seit zwei Jahren in diesen Bergen kämpften, hatte das Ende des Zuges noch nicht den Fluss Amu-darja überschritten.
Das Schwert des Großkhans, so nannte Hulagu seine Armee.
Gegen ihren Willen wurde Sinaida bei diesem Gedanken von Stolz erfüllt. Niemand konnte gegen eine solche Menschenflut bestehen; zahllose Reiche hatte Hulagu bereits im Namen des Großkhans im fernen Karakorum erobert. Widerstand zu leisten wäre, als wollte ein einzelner Mann mit bloßen Händen ein reißendes Wildwasser stauen.
» Überschätze nicht eure Macht «, sagte Kasim bedächtig, der neben ihr stand und gleichfalls auf den wimmelnden Teppich aus Menschen, Zelten, Karren, Kriegsgerät und Pferden blickte. » Eure Größe ist eure Waffe, aber sie ist es auch, die euch schwerfällig und verletzlich macht. Khur Shah mag euch nichts mehr anhaben können. Doch weiter im Süde n w erdet ihr auf Gegner treffen, die stark genug sind, sogar euch zu schlagen. «
» Niemals «, sagte sie überzeugt. Keiner konnte sie aufhalten, niemand sich ihnen widersetzen. Wenn es Hulagu danach verlangte, konnte er die ganze Welt erobern. Doquz hatte ihrer Schwester gestanden, dass es genau das war, was der Heerführer anstrebte. Macht für den Großkhan daheim, aber noch größere Macht für ihn selbst, den Il-Khan der neuen mongolischen Reiche.
» Selbst der stärkste Fluss verliert irgendwann an Kraft «, sagte Kasim. » Er teilt sich, zerfließt und mündet ins Meer. Dort ist er nur noch einer unter vielen. «
Sie löste ihren Blick von der Masse ihres Volkes und betrachtete Kasim von der Seite. Er musste die Mongolen hassen, und doch zeigte er es nicht. Warum hasst er mich nicht?, fragte sie sich.
» Willst du Zweifel säen in meinem Herzen? «, fragte sie. » Ist es das, weshalb du mit mir hier heraufgehen wolltest? Dann lass dir gesagt sein: Das wird dir nicht gelingen. «
» Wie könnte ich dich zweifeln lassen? «, erwiderte er. » Ich bin nur ein Sklave. «
Ihr lag ein » So ist es « auf der Zunge, doch dann schwieg sie und dachte über seine Worte nach. Die Nizaris, dieser Kult von Meuchelmördern, hatte zweieinhalb Jahrhunderte lang die arabische Welt in Angst und Schrecken versetzt, und doch waren sie nun so gut wie ausgerottet. Würde es den Mongolen ebenso ergehen? Würde Karakorum an Macht verlieren, irgendwann vielleicht nur noch eine verlassene Ruinenstadt in der unendlichen Steppe sein?
Das wusste nur Gott.
Am Fuß des Festungsberges hatten die Mongolen Katapulte, Belagerungstürme und Leitern bereitgestellt. Auch eines der riesigen Sturmräder war zusammengebaut worden, obgleich Sinaida bezweifelte, dass es in so unwegsamem Gelände zum Einsatz kommen würde. Von hier oben sah man noch deutlicher, dass es unmöglich die Felsen hinaufgeschafft und vor den Mauern aufgerichtet werden konnte.
» Was führst du im Schilde? «, fragte sie. » Wir sind nicht nur hier, um die Aussicht zu genießen, nicht wahr? «
» Erlaubst du mir, dir eine Frage zu stellen, Prinzessin? «
Die Traurigkeit in seiner Stimme ließ sie zögern, doch dann sagte sie rasch: » Frag nur. «
Kasim ließ sich an der Felskante nieder. Seine Beine baumelten über einer niedrigen Steilwand von drei Schritt Tiefe, ehe der Hang von einem weiteren Felsplateau unterbrochen wurde. Sinaida nahm neben ihm im Schneidersitz Platz. Die Leere vor ihr beschleunigte ihren Herzschlag, Höhen verunsicherten sie. Sie war eine Tochter weiter Ebenen, in denen es
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