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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Plan des Ratgebers nicht, sie wussten nichts von Kasims Worten an die Prinzessin Sinaida. Sie alle ahnten nur, dass was auch immer geschähe Opfer kosten würde – Opfer an Menschenleben, Opfer an Würde.
    Während er durch ihre Reihen schritt, mit erhobenem Haupt und wehendem Mantel, spürte Khur Shah ihre Blicke, unsicher, respektvoll, viele voller Liebe. Am stärksten aber fühlte er die Augen Shadhans in seinem Rücken, und das war es, was ihn insgeheim ängstigte: Verzehrende Ambitionen loderten im Geist dieses Mannes, und Khur Shah hätte viel dafür gegeben, das brillante, rätselhafte Geflecht von Shadhans Gedanken durchschauen zu dürfen. Doch der Weise schwieg über alles, das ihn selbst betraf, und solange seine Ratschläge dem Wohl der Nizaris dienten, wollte Khur Shah ihn nicht erzürnen. Ein Verstand wie dieser mochte in Windeseile von einem treuen Verbündeten zu einem furchtbaren Feind werden. Dann, darüber war sich Khur Shah im Klaren, würde er schnell sein müssen: Shadhans Kopf würde rollen, ehe er die Möglichkeit bekäme, eigene Vorteile über jene der Nizaris zu stellen.
    Ein kleines Mädchen, höchstens sechs Jahre alt, riss ihn aus seinen Gedanken. » Herr! « Sie hatte sich aus einer Reihe von Kindern gelöst, die gerade das Erklimmen einer Mauer übten. » Macht Allah, dass bald die Welt untergeht? «
    Er blieb stehen und ging vor dem Mädchen in die Hocke, damit sich ihre Augen auf einer Höhe befanden. Ein Ausbilder eilte von hinten herbei, um das Kind zu maßregeln, doch Khur Shah schickte ihn mit einem Wink davon. » Die Welt geht nicht unter «, sagte er zu der Kleinen. Ihr Haar war kurz geschnitten, und sie hatte eine frisch verheilte Narbe auf der linken Wange – eine Folge der Übungen mit echten Waffen.
    » Niemand hat die Macht, die Berge dort draußen zu stürzen, oder den Himmel, oder die Sonne selbst. «
    » Nicht einmal Allah? «
    » Nicht einmal er, denn er ist all das – die Berge, der Himmel, die Sonne, sogar unser aller Leben. «
    » Aber Allah wird uns zu sich holen? «
    » Vielleicht wird er das tun, ja. «
    » Wartet er dann auf uns in seinem Garten? «
    Khur Shah versuchte zu lächeln. » Das tut er gewiss. Auf jeden Einzelnen von uns. «
    » Es ist ein schöner Garten, oder? «
    » Der schönste, den du dir vorstellen kannst. « Er wusste sehr wohl, dass die Kleine noch nie in ihrem Leben einen Garten gesehen hatte, nicht hier in diesen Bergen. » Seine Bäume hängen voll mit süßen Früchten, das Wasser in den Bächen funkelt wie Edelsteine und die Luft schmeckt nach Moschus und Kräu tern. «
    Sie legte den Kopf leicht schräg, blickte ihn aus großen Augen an, dann drehte sie sich um und lief zurück zu den anderen. Die Kinder bestürmten sie mit Fragen, doch der Ausbilder ging dazwischen und schickte sie streng zurück an ihre Kletterseile.
    Der Garten Allahs.
    Der Garten der Nizaris.
    Khur Shah hatte ihn als einer der wenigen Lebenden mit eigenen Augen gesehen – dies war das größte Privileg der Alten vom Berge. Und wie kein anderer verstand er, warum sich all diese Menschen danach sehnten.
    *
    Auf den Felshängen über dem Mongolenlager rauchten noch die verkohlten Leichen der nächtlichen Attentäter auf ihren Pfählen, als der alte Mann den Hang herabkam.
    Der Stab, auf den er sich stützte, ließ ihn aus der Ferne schwächer wirken als er war, aber die Wächter, die ihn als Erste kommen sahen, erkannten den unbeugsamen Willen in seinem Blick und ließen ihn passieren. Später nahm Hulagu ihnen dafür die Köpfe, doch selbst in ihren letzten Momenten konnten sie nicht erklären, was es gewesen war, das sie in solcher Ehrfurcht zu dem Fremden hatte entbrennen lassen. Noch unter den Klingen ihrer Henker brüllten sie, dass er sie verhext habe, um ungehindert das Lager zu betreten, dass er sich ihr Vertrauen erschlichen habe allein durch die Macht seiner Augen.
    Allein Sinaida war nicht überrascht, als die Nachricht vom Kommen des Alten die Zelte Hulagus und seiner Familie erreichte. Als Einzige hatte sie den Abgesandten der Nizaris erwartet.
    Mit ihrer Erlaubnis hatte Kasim im Morgengrauen von einem der Berghänge aus das vereinbarte Zeichen gegeben: ein Papierdrache, den er in einer Bö für kurze Zeit aufsteigen ließ.
    Gemächlich näherte sich der bärtige Mann dem Zentrum des Lagers, vorbei an den Jurten aus Filz und den Zelten aus Wolle, vorüber an Pferdekoppeln, an rauchenden Feuern, auf denen Töpfe mit Hammelfleisch und Reis brodelten, an

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