Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
die meisten von uns kommen nicht in den Genuss, die Welt zu bewegen. Höchstens vielleicht einen sehr winzigen Teil davon.«
»Willst du damit sagen, ich soll bei McCrane & Whitney anfangen?«
»Nein, nicht unbedingt. Aber du solltest deine Zielvorgaben vielleicht ein bisschen senken.«
Am Morgen erhielt Jerry einen Anruf von Leslie Shields, die sich als eine der Produzentinnen beim Target Channel vorstellte. »Mr Culpepper, ich kann Ihnen derzeit keine Stellung bei uns anbieten. Aber wir bereiten eine Serie vor, die wir Serendipity nennen wollen. Wir haben einige Filme zusammengestellt, die zeigen, wie viel Glück wir hatten und wie leicht historische Ereignisse eine andere Richtung hätten nehmen können. Ein Beispiel: Ich bin sicher, Sie wissen, dass sich George Washington, als er Offizier bei der Miliz war, bei der britischen Armee beworben hatte. Die Briten hielten die Kolonialbürger für nicht besonders kompetent und wiesen ihn ab. Stellen Sie sich eine Revolution vor, bei der er auf der anderen Seite gestanden hätte!«
»Hört sich interessant an«, sagte Jerry und fragte sich, was Ms Shields von ihm wollen mochte.
»Und dann ist da noch der Kansas-Nebraska Act.«
In dem Punkt lieferte Jerrys Gehirn nur diffuse Daten. »Was ist damit?«
»Als das Gesetz vorgelegt wurde, 1854, hatte Lincoln bereits eine Amtszeit als Abgeordneter des Repräsentantenhauses hinter sich. Aber er hatte das Interesse an der Politik verloren und war nach Springfield zurückgekehrt, wo er erfolgreich als Anwalt arbeitete. Und dort wäre er vermutlich geblieben, hätte es den Kansas-Nebraska Act nicht gegeben, der die Sklaverei über die ursprünglichen Grenzen hinausgetragen hätte. Wir stellen uns vor, dass wir einen der Filme zeigen und einen Historiker dazu hören. Sie beide würden das Thema vorstellen und nach dem Film über die möglichen Konsequenzen diskutieren. Wäre Lincoln nie ins Weiße Haus gelangt, hätte dort ein kompromissbereiterer Mensch Einzug gehalten, sagen wir, Stephen Douglas, hätte der Bürgerkrieg dann vielleicht gar nicht stattgefunden? Und wäre es so gekommen, wo würden wir dann heute stehen? Und so weiter.«
»Hört sich interessant an«, wiederholte Jerry.
»Wir halten das Konzept für sehr gelungen. Das gehört nicht zu den Dingen, die im Alltag zur Sprache kommen. Wie auch immer, wir würden uns freuen, wenn Sie uns besuchen und für den Posten des Moderators vorsprechen würden.«
»Warum ich? Wäre ein Historiker dafür nicht besser geeignet?«
»Nein. Wir werden Woche für Woche einen Historiker dabeihaben. Wir brauchen jemanden, der die Fragen stellt, die auch ein ganz gewöhnlicher Mensch stellen würde.«
»Ich verstehe.«
»Ich fürchte, ich habe mich nicht sehr geschickt ausgedrückt, Mr Culpepper. Wir brauchen jemanden, der sich in die Zuschauer hineinversetzen und das Gespräch in eine passende Richtung dirigieren kann.«
Shields war blond, blauäugig, um die vierzig. Sie strahlte das gelassene Selbstvertrauen eines erfolgsverwöhnten Menschen aus. Eines Menschen, der es gewohnt war, dass man ihn ernst nahm. Sie ließ ein fröhliches Lächeln aufblitzen, das eine angenehme Zukunft versprach. Das Logo des Target Channel, das Bullseye einer Zielscheibe, in dem ein Pfeil steckte, beherrschte die Wand hinter ihr. »Die Herausforderung wird Ihnen gefallen«, versprach sie. »Und der Target Channel ist ein guter Arbeitgeber. Wir haben viele kreative Leute hier und ein gutes Management. Sie würden sich wie zu Hause fühlen.«
»Ich glaube nicht, dass ich der Richtige für den Job bin«, meinte Jerry.
»Wir haben auch eine Sendung über die Revolution.« Shields schien keineswegs geneigt, lockerzulassen. »Wären die Dinge in der königlichen Familie ein bisschen anders gelaufen, hätten sie außenpolitisch geschickter gehandelt. Die Amerikaner wären glücklich gewesen, und Lexington hätte nie stattgefunden.«
Jerry dachte darüber nach. »Keine Revolution?«
»Es hätte keine Vereinigten Staaten gegeben. Wir wären ein zweites Kanada geworden.«
Der Gedanke an die NASA meldete sich in Jerrys Hinterkopf. »Das wäre vielleicht von entscheidendem Vorteil gewesen«, sagte Jerry.
14
Jerry ließ sich in einen Sessel sinken, schaltete den Fernseher an und lehnte sich zurück. Er wollte sich das Ende von Koestler Country ansehen. Auch wenn er den Moderator nicht sonderlich mochte, sah er gern zu, wenn Koestler Politiker schikanierte. Gerade lief Werbung; also schaltete Jerry um zu
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