Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
Ihre Organisation käme einer Abkürzung in Richtung Herzinfarkt gleich. Ich habe mehr als genug aussichtslose Sachen vertreten.«
Jo seufzte. »Gut, Jerry. Ich hoffe, Sie überlegen es sich noch einmal. Falls Sie das tun, rufen Sie mich an, ja?«
Jerry hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Jo zurückgewiesen hatte. Aber er war davon überzeugt, dass es keine ernsthaften Bemühungen gäbe, das Problem unter Kontrolle zu bekommen, bis der Atlantik durch Downtown Manhattan schwappte. Noch mehr beruflichen Frust in seinem Leben konnte Jerry nun wirklich nicht gebrauchen. Besser, er ginge zurück in die Politik. Realpolitik, um genau zu sein, die Art, wo es nur darum ging, die Gegenseite zu schlagen und dem eigenen Kandidaten zu Amt und Würden zu verhelfen. Das war eine Art der Arbeit, mit der Jerry leben konnte. Und, um der Wahrheit Genüge zu tun, es war eine Arbeit, die ihm Spaß machte.
Jim Tilghman würde sich dieses Jahr zur Wiederwahl stellen. Er kandidierte für die zweite Amtszeit im Senat. Er war ein anständiger Bursche. Jemand, den Jerry guten Gewissens unterstützen konnte. Wie es hieß, war Tilghman nicht glücklich damit, wie sein Wahlkampf derzeit geführt wurde. Das bedeutete, dass mit einer Umstrukturierung zu rechnen war.
Jim Tilghman war ein alter Freund. Wenn die Gerüchte über die Unstimmigkeiten in seiner Truppe zutrafen, würde Jerry vermutlich von ihm hören.
Er ging zum Frühstück ins Darby’s. Das war eine nette Abwechslung. Das Darby’s war unten an der Cocoa Beach und bot einen freien Blick aufs Meer. An normalen Arbeitstagen konnte Jerry dort nicht essen, weil es zu weit entfernt lag. Aber es war das perfekte Lokal für einen Samstag. Oder für jemanden, der nicht mehr erwerbstätig war. Jerry fuhr auf den halb leeren Parkplatz. Schon jetzt war es heiß, und kein Lüftchen wehte vom Ozean herein. Die Wettervorhersage versprach Höchstwerte von knapp vierzig Grad.
Er ging hinein, beschloss, sich keine Gedanken über seine Ernährung zu machen, und bestellte Schinken mit Eiern und Pfannkuchen als Beilage. Dann nahm er Platz, wartete darauf, dass das Frühstück serviert wurde, schaute auf den Atlantik hinaus und lauschte dem Donnern der Brandung. Sollte Tilghman anrufen, würde er annehmen. Jim war aus Pennsylvania. Jerry mochte nicht viel über die Politik im Keystone State wissen, aber er lernte schnell.
Vielleicht brachte die Lage, in der er steckte, ihm sogar eine echte Chance ein. Er hatte gern für die NASA gearbeitet. Aber die Wahrheit war, dass dort, auch wenn es weiterginge, seine Karriere ins Stocken geraten wäre. Bliebe er die nächsten zwei Dekaden im Space Center, würde sich an seinen Aufgaben nichts mehr ändern.
Jerry war nicht sicher, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Im College hatte er Geschichte im Hauptfach belegt und angenommen, er würde Lehrer werden. Das war ihm wie der natürliche Lauf der Dinge erschienen. Er war einer von vielleicht dreien im Rhetorikkurs gewesen, die keine Angst hatten, sich vor allen anderen aufzubauen und ein paar Kommentare darüber abzugeben, was sie beispielsweise über die Kubakrise dachten. Der Dozent, Professor Clement, hatte eine Studie zitiert, in der die größten Ängste der Menschen tabellarisch aufgeführt waren. Der Tod stand an zweiter Stelle. Vor Publikum zu sprechen an erster.
Jerry jedoch war ein Naturtalent. Er liebte öffentliche Auftritte.
Vielleicht würde er eines Tages selbst für ein Amt kandidieren. Abgeordneter Culpepper aus dem großartigen Ohio. Das klang gut in seinen Ohren.
Als Jerry nach Hause kam, warteten weitere Jobangebote auf ihn. Zwei Talkshows hatten ihn eingeladen, sich als Stammmitglied ihrer Diskussionsrunde zu verpflichten, die politisch orientierte Show Slippery Slopes und Dark Energy auf dem Science Channel. Jerry wünschte, er besäße den passenden Background, um beim Science Channel anzuheuern. Aber er würde mit fliegenden Fahnen untergehen, sobald sie dort anfingen, über Quantenmechanik oder Stringtheorie zu reden.
Auch Politiker hatten die Fühler ausgestreckt, beide aus Ohio, beide im Kommunalwahlkampf.
Aber sollte Jerry in die Politik zurückgehen, dann konnte er ebenso gut gleich ganz oben einsteigen. Da er noch nichts von Tilghman gehört hatte, beschloss er, selbst den ersten Schritt zu tun. Er rief im Büro des Senators an. Die Frau, die das Gespräch entgegennahm, stellte sich als Sally vor. Offensichtlich kannte sie ihn nicht, weder seinen Namen noch sein
Weitere Kostenlose Bücher