Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
verliebt, weil er dem Pizzaboten so ähnlich gesehen habe, der ihre Familie in Ohio beliefert habe. »Sie liebt Pizza«, fügte George dann hinzu. Das löste stets Gelächter aus.
Die erste Voraussetzung, um in der Politik Erfolg zu haben, war, für etwas zu stehen. Zweitens musste man bescheiden tun und sich als ganz normaler Mensch tarnen. Der nette Kerl von nebenan. Und diese Rolle dann bis an die Grenze des Machbaren durchhalten. Sei ein Durchschnittsamerikaner mit den richtigen moralischen Werten. Die Art Mensch, mit der sich ein Durchschnittswähler gern zu einem Bier zusammensetzen würde. Wer das schaffte und die Wähler überzeugte, den hielt nichts mehr auf.
George wäre entzückt gewesen, hätte er die Möglichkeit gehabt zu sagen, was er wirklich dachte, hätte er den Wählern gegenüber brutal ehrlich sein dürfen. Wie gern hätte er allen klargemacht, dass das Land nicht ewig so weitermachen und zusehen konnte, wie der Dollar an Wert verlor. Dass die USA nicht ewig immer mehr Menschen innerhalb ihrer Grenzen ansammeln konnten. George schuldete es den Wählern, auszusprechen, dass das Land dann und wann ein bisschen Sozialismus gebrauchen könnte. (Das war schon in Ordnung; man musste dem Ganzen nur einen anderen Namen geben.) Und so weiter. Aber Ehrlichkeit und Offenheit wären politisches Gift. Wollte George an der Macht bleiben, musste er sich an die Spielregeln halten. Das aber bedeutete nicht, dass er die Belange des Landes nicht wichtiger nehmen durfte als die der Partei. Natürlich behauptete jeder, so zu denken. Aber George machte damit ernst, eine Haltung, die häufig sogar seine Verbündeten verprellte. Dennoch tat er, was er konnte, um an der Macht zu bleiben. Denn es war einfach wichtig, die Konkurrenz vom Oval Office fernzuhalten. Sein mutmaßlicher Herausforderer beim Präsidentenlotto im nächsten Jahr neigte dazu, jedes Problem mit dem Hammer anzugehen.
George befand sich im Hyatt Regency Century Plaza in Beverly Hills. Zu den Gästen zählten auch einige Hollywoodgrößen, darunter Grant Barrin, der Actionheld. Grant saß am anderen Ende des Präsidententischs. Man konnte nichts mehr verkehrt machen, wenn die Actiontypen sich die Ehre gaben. Komödianten waren auch gut. Und die angesagten Hollywood-Diven. Aber nichts war besser als jemand wie Grant.
Gerade ein paar Minuten saß George am Tisch, als auch schon das Essen serviert wurde: Steak, Kartoffelpüree, Mais, Rotkohl und Apfelmus – ein Essen, wie er es mochte. Er hatte nie viel Geschmack für Exotischeres entwickelt. Er war im Kern ein Fleisch-und-Kartoffeln-Typ. Senatorin Andrea Gordon saß zu seiner Linken, der Landesparteivorsitzende Bill Merkusik auf der anderen Seite. George ging davon aus, dass er Andrea 2020 als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten benennen würde.
Die Partei fürchtete um die Mehrheitsverhältnisse im kalifornischen Abgeordnetenhaus, und das Thema kam während des Essens zur Sprache. Die Wähler waren unzufrieden mit der galoppierenden Inflation, und sie verlangten die Schließung der Militärbasen in Übersee. Die Vereinigten Staaten hätten, so dachten viele, ernsthafte imperialistische Ambitionen entwickelt, die sie sich schlicht nicht leisten könnten. Die Losung für die 2020er Wahl würde lauten ›Zeit, heimzukehren‹. George hätte zu gern den Rückzug befohlen und alle zurück in die Staaten geholt. Teilweise hatte er das bereits getan. Aber das Land hatte unter früheren Regierungen Versprechen gegeben. Und einige Stationierungsorte zeichneten sich durch grundsätzliche Instabilität aus. Zöge George das Militär von dort ab, würden Menschen sterben, und so etwas wollte er nicht auf sein Gewissen laden. Die New York Times überschüttete ihn mit Vorwürfen, doch, so erklärte er Merkusik und Gordon, die Times habe leicht reden. Sie werde sich nicht mit den Folgen herumschlagen müssen, wenn das Sterben beginne.
Bisweilen bereute George, je in die Politik gegangen zu sein. Entscheidungen auf Leben und Tod treffen zu müssen, was von Zeit zu Zeit nötig war, gefiel ihm nicht. Zweimal hatte er sich aus internationalen Konflikten herausgehalten, während seine Kritiker lautstark ein Eingreifen gefordert hatten. Und George hatte zugesehen, wie Diktatoren Tausende massakriert hatten. Ob er in Aktion trat oder nicht: Er hatte Blut an seinen Händen.
Verdammter Job! Manchmal war George in Versuchung, seinen Rücktritt zum Abschluss der ersten Amtszeit zu verkünden. Sollte doch jemand
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