Das Chamäleon-Korps
ihn mir vielleicht für die beiden Tage, die Sie hierbleiben möchten, vermieten?“
Sie drehte sich um und sah ihn mißbilligend an. „Das würde ich vielleicht, aber dieser Penner hier, der keinerlei Respekt vor den Verstorbenen hat, will ja nicht zahlen.“
„Der Typ, den sie eigentlich belangen müßte, ist vor sechs Jahren ausgezogen“, sagte der Dichter.
Jolson wandte sich an Mrs. Erasmus und sagte: „Ich habe notgedrungen Ihre Unterhaltung mitgehört und mag gar nicht daran denken, daß Onkel Edwins Ruhe noch nicht voll bezahlt ist. Ich würde die Rechnung gerne selbst begleichen, wenn Sie mir Ihren Kreuzer vermieten.“
Mrs. Erasmus stellte sich ächzend auf. „Sie sind ein junger Philanthrop. Ich habe mir das schon gedacht, trotz Ihrer langen Haare, junger Mann. Sie müssen mir hundert Dollar Kaution hinterlassen, einen Vertrag in dreifacher Ausführung unterschreiben und mir Ihre gesamten Ausweise mit Ausnahme derjenigen, die Sie für den Fahrzeugbetrieb benötigen, hierlassen. Okay?“
Als Jolson weiterfuhr, war der Nebel bereits dichter. Er mußte vorsichtig fahren, obwohl die nächtliche Fahrbahn ruhig und leer war.
Nachdem er vom Motel ‚Zum Ewigen Frieden’ aus dreißig Meilen gefahren war, gab der gemietete Kreuzer plötzlich ein malmendes Geräusch von sich. Das Fahrzeug kam auf der glitschigen Fahrbahn ins Schleudern. Plötzlich schaltete sich der Motor ab, und das Getriebe und die Gleiter drehten ohne jede Synchronisation durch. Jolson stellte den Betriebshebel auf AUS und öffnete die Kabinentür.
Er schwang ein Bein aus dem Kreuzer und wollte gerade auf die neblige Straße steigen, als etwas seinen Fuß packte und daran zog. Er schlug mit dem unteren Rückgrat auf das Trittbrett auf, rutschte dann auf die Straße, und bevor er einen Schmerzensschrei ausstoßen konnte, streckte ihn ein Schlag übers Ohr nieder.
20
Über einem der Särge sah er durch ein ovales, kleines, mit rostigem Schmiedeeisen verziertes Fenster in den dünnen, grauen Morgen hinaus. Jolson zitterte in der Hocke so lange, bis er wach war. Er befand sich auf einer kalten Steinplatte. Seine Handgelenke waren hinter seinem Rücken mit etwas zusammengebunden, das sich wie dicke Wollschals anfühlte, seine Fußknöchel waren über Kreuz mit vergoldeten Kordeln gefesselt. Als er seine Knie zur Seite drehte, warf er einen halbvollen Sack mit süßstoffglasierter Haustiernahrung um. Der karierte Sack fiel fünf Fuß herab, bis er auf dem Boden der Krypta ankam, und verstreute Kugeln über einen Stapel verblichener Beileidskarten.
Jolson gähnte automatisch und atmete tief ein. Die Luft stach ihm nadelscharf in die Lungen. Ein halbes Dutzend Särge lagen im matt beleuchteten Raum auf Regalen, die dem seinen ähnelten. Der ihm am nächsten liegende Sarg war mit handgeschnitzten ländlichen Szenen geschmückt, und während er ihn noch betrachtete, fing ein Schaf an zu leuchten. Jolson schwang seine gefesselten Beine von der Regalkante und setzte sich aufrecht. Dabei stieß er mit einem Stiefel gegen einen Sarg, und ein Stapel Fernsehzeitschriften des letzten Jahres polterte herab.
Links von seinen baumelnden Beinen stand ein tragbares Mikrofilmlesegerät, auf dessen Kontrollpaneel ein angebissenes Sandwich lag. Durch das ovale Fenster sah Jolson zu, wie der Tag draußen Farbe annahm. Inzwischen würde Jennifer auf der Insel sein. Jolson versuchte, seine Hände auseinanderzureißen, doch die zottigen Fesseln hielten stand.
Am anderen Ende der Krypta erschien ein farbiges Fenster oben auf den Marmortreppen und kam auf ihn zu. ZUM GEDÄCHTNIS AN DEN LIEBEN ONKEL VINCENT stand in grünen Glasknöpfen am oberen Rand
Weitere Kostenlose Bücher