Das Chaos-Casino
Telefons an seinem Bett riß Beeker aus dem Schlaf. Mit trübem Blick sah er auf seine Uhr, um festzustellen, wie lange er schon geschlafen hatte, gab es aber wieder auf, als er merkte, daß er sich nicht erinnern konnte, wann er zu Bett gegangen war. Nicht zum ersten Mal fühlte er sich vom Zeitrhythmus auf Loreley irritiert - oder dem Fehlen eines solchen, der es so gut wie unmöglich machte, zu irgendeiner Art von Regelmäßigkeit zu gelangen.
Das Telefon klingelte erneut.
Anstatt sofort nach dem Hörer zu greifen, nahm sich der Butler etwas Zeit, um sich zu sammeln. Vielleicht waren Wirtschaftsbosse ja dazu in der Lage, effizient zu arbeiten, während sie zugleich den Eindruck machten, gehetzt und getrieben zu sein. Doch für jemanden in seiner Position war dergleichen ausgeschlossen.
Wieder rasselte das Telefon.
»Hier Beeker.«
»Beeker! Was, zum Teufel, ist da los?«
Die Stimme war eine Überraschung. Weniger ihre Aussage, als vielmehr ihre Identität. Selbst in ihrem erregten Zustand hatte der Butler keine Schwierigkeiten, sie als das Organ von Paul Narrisch, dem Vater seines Arbeitgebers, zu identifizieren.
»Bedauerlicherweise, Sir, bin ich nicht in der Lage, diese Anfrage zu beantworten - zumindest solange nicht, bis sie sich hinreichend beruhigt haben, um sich ordentlich zu identifizieren.«
»Oh. Entschuldigung. Hier spricht Paul Narrisch, Beeker, und ...«
»Ach ja. Guten Abend, Herr Narrisch. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie könnten damit anfangen, indem Sie mir erzählen, was da auf Loreley los ist!«
Der Butler rollte verärgert mit den Augen. Er hatte gehofft, daß der ältere Narrisch dadurch, daß er ihn dazu zwang, das förmliche Protokoll einzuhalten, sich zugleich dazu drängen lassen würde, sein Anliegen in einem etwas sachlicheren Tonfall mit ihm zu besprechen. Doch dem sollte eindeutig nicht so sein.
»Über Ereignisse auf Loreley wird von den Medien ausführlich berichtet, Sir«, sagte er. »Oder gibt es etwas Besonderes, worüber Sie Informationen wünschen?«
Am anderen Ende der Leitung setzte ein langes Schweigen ein.
»Hören Sie zu, Beeker«, meldete sich die Stimme schließlich wieder, diesmal grimmig, aber beherrscht. »Versuchen Sie gerade, den Schlaumeier zu mimen, oder wissen Sie wirklich nicht, was los ist? Ich habe gerade einen Anruf von einem alten Drachen erhalten. Die Frau behauptet, daß sie Willard in der Hand hätte, und wenn ich nicht hundert Millionen ausspucke, würde sie ihm mit der Axt den Schädel spalten oder ihn aus einer Luftschleuse stoßen oder was zum Teufel sonst erforderlich sein mag, um da draußen jemanden umzubringen.«
»Ich verstehe«, erwiderte der Butler. »Nein, Herr Narrisch.
Ich kann Ihnen versichern, daß ich jetzt zum ersten Mal davon höre.«
»Meinen Sie, daß da etwas dran sein könnte?«
»Jawohl, Sir. Ich glaube, ich kenne die beteiligten Parteien, und sie machen mir nicht den Eindruck, als würden sie bei einer Angelegenheit von dieser Größenordnung bluffen. Ich fürchte, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, daß die Ihren Sohn in ihrer Gewalt haben und ihn auch umbringen werden, sollten Sie das Lösegeld nicht bezahlen.«
»Verdammt, Beeker! Wie konnte das passieren? Er soll doch eigentlich einen ganzen Trupp Soldaten um sich haben. Nein - streichen Sie das. Nach allem, was ich über diese Weltrauamlegi- on gehört habe, würde ich denen nicht einmal den Objektschutz für ein Sparschwein anvertrauen. Aber Sie! Wie konnten Sie das geschehen lassen, Beeker? Ich dachte immer. Sie wären einer der Besten in diesem Geschäft.«
»Ich bemühe mich, Sir«, erwiderte Beeker gleichmütig. »Das tun wir alle. Ihr Sohn jedoch hat seine eigenen Vorstellungen, wie auch eine etwas unglückliche Neigung zum Unorthodoxen. Wenn Sie das berücksichtigen, werden Sie sicherlich begreifen, welche Schwierigkeiten bei seiner Bewachung auftreten können.«
»Über seine Unabhängigkeit weiß ich alles«, knurrte der ältere Narrisch dunkel. »Ich schätze, ich habe gewußt, daß früher oder später so etwas passieren muß.«
»Verzeihen Sie meine Frage, Herr Narrisch«, warf der Butler ein und nutzte die Gesprächspause, »aber gehört es noch immer zur Firmenpolitik von Narrisch & Damlack und Ihnen persönlich, daß unter gar keinen Umständen Lösegelder gezahlt werden, um wen oder was es auch immer gehen mag?«
»Das ist richtig«, bestätigte die Stimme. »Wenn man erst einmal mit dem Zahlen anfängt, nimmt es kein Ende mehr. Wir
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