Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
NACH DER WELTLICHEN MACHT
Von Gott auserwählt zu sein ist kein Privileg, sondern eine Last. In diesem Auserwähltsein steckt eigentlich eine permanente Überforderung. Und darum berichtet die Bibel von den immer wiederkehrenden Versuchen Einzelner, von Gruppen oder des ganzen Volkes, dem fremden fordernden Willen Gottes auszuweichen, ihm zu entkommen, ihn zu ignorieren oder sich ihm einfach zu widersetzen.
Warum, so wurde in Israel gestöhnt, lässt Gott uns nicht so sein wie die anderen Völker? Die leben doch auch, und oft sogar besser als wir. Warum müssen wir so kompromisslos die Götter der anderen verwerfen? Diese tolerieren unseren Gott schließlich auch, wir aber lehnen deren Götter ab. Können wir ihnen verübeln, dass sie uns hassen? Warum lassen wir die Pluralität der Meinungen nicht gelten und pflegen eine tolerante Kompromissbereitschaft? Was soll daran schlecht sein?
So fragt Israel, obwohl es doch die Antwort kennt. Wer einmal verstanden hat, dass zwei mal zwei vier ist, kann zwar widerstrebend hinnehmen, dass andere sagen, es sei drei, fünf oder sieben, kann aber selber nicht mehr zurück und zustimmend sagen: Die anderen haben auch alle irgendwie recht, und niemand weiß ja um die tatsächliche Wahrheit.
Nein, Israel kennt die Wahrheit. Israel weiß, dass die Erde Erde ist und nicht zugleich auch noch die Göttin Gaia. Israel weiß, dass Sonne, Mond und Sterne nicht, wie die anderen glauben, Götter sind, sondern Lampen, die ihr Gott in den Himmel gehängt hat. Die anderen empfinden die Herabwürdigung der Götter zu bloßen Lampen als Blasphemie, gotteslästerlich, verabscheuungswürdig, doch Israel kann nicht anders als zu sagen: Es ist aber so. Es sind Lampen, keine Götter. Und wenn Israel um des lieben Friedens willen konzedierte, diese Lampen könnten vielleicht auch Götter sein, weiß es, dass es seinen Gott, den einzigen und wahren, verriete, und der Friede, der damit erreicht würde, ein fauler Friede wäre.
Israel weiß auch, dass die Klassengesellschaft ein Ergebnis des Glaubens an falsche Götter ist. Also muss eine egalitäre Gemeinschaft, die sich treu bleiben will, dem Gott treu bleiben, der diese Gemeinschaft gestiftet hat.
Es gibt kein Zurück mehr. Mit der Unterscheidung zwischen dem einzigen, wahren Gott und den vielen falschen Göttern ist die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch in der Welt. Und damit auch der Streit darüber, was wahr und falsch sei. Und damit der Unfrieden. Diese Entwicklung ist nun nicht mehr rückgängig zu machen.
Um trotzdem mit den anderen in Frieden leben zu können, ist es daher jetzt umso wichtiger, ganz auf seinen Gott zu hören. Nur, wenn Israel alle Sinne auf Empfang stellt, mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt, was sein Gott will, und entsprechend handelt, wird es in Frieden leben mit den anderen. Wenn nicht, ist Krieg programmiert. Die Verantwortung für Krieg und Frieden liegt nun bei Israel. Noch eine Last mehr.
Wie lange hält man das durch, als kleines, machtloses Volk inmitten großer, mächtiger Völker völlig anders zu leben als diese? Jedes Volk hat einen König, nur das kleine Israel sagt: Brauchen wir nicht, denn wir haben Gott. Alle anderen wohnen in einem Staat, nur das kleine Israel sagt: Brauchen wir nicht, wir leben als freie Stämme solidarisch und hierarchiefrei zusammen. Jedes Amt, jede damit verbundene Herrschaft ist von Übel. Haben unsere Väter etwa Ägypten unter Lebensgefahr verlassen, damit wir jetzt wieder leben wie die Ägypter?
Ungefähr zweihundert Jahre haben die freien Stämme dieses bewusst gewählte alternative Leben durchgehalten, dann erschallte unüberhörbar durch ganz Israel der Ruf: Ein König soll über uns herrschen! Wir wollen sein wie alle Völker . (1 Samuel 8, 19–20) Wie konnte es dazu kommen?
Jene zwei Jahrhunderte, in denen Israel der Welt sein selbstbewusstes Hier nicht entgegenschleuderte, hätte man gerne als die große, die heroische Zeit beschrieben, die bestimmt war von der jungen Liebe zwischen Gott und seinem Volk. Aber die Juden sind ein gnadenlos selbstkritisches, wahrhaftiges Volk. Sie erkannten schnell: Diese Flitterwochen-Vergangenheit, die man sich gern zum Vorbild genommen hätte für die Gegenwart und Zukunft, gab es nicht. Es hat in dieser jungen Ehe schon früh gekriselt. Bereits vor dem Königtum haben diese Krisen begonnen, in der scheinbar unschuldigen Zeit der zwölf Stämme.
Zum Beispiel gab es den Widerspruch zwischen Verheißung und Erfüllung. Man war
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