Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Soldaten. Über die Restbevölkerung setzt er einen judäischen Vasallen, Zedekia, ein, der jedoch eine Verschwörung gegen Nebukadnezar anzettelt, und daraufhin zieht dieser mit seinem Heer 587 vor Christus nach Jerusalem, belagert es und fällt schließlich mordend und brandschatzend in die Stadt ein. Er zerstört den Königspalast und den Tempel, entführt weitere Teile der judäischen Bevölkerung nach Babel, hält Judas letzten König Jojachin gefangen, foltert ihn, blendet Zedekia und tötet dessen Söhne. Vierhundert Jahre judäischer Geschichte enden in Feuer, Tod und Zerstörung.
Normalerweise hätte hier die Geschichte der ehemaligen ägyptischen Sklaven enden müssen. Normalerweise bedeutet eine solche Verheerung eines Landes und des zugehörigen Volkes dessen Untergang. Normalerweise hätte der Auslöschung Israels nun die Auslöschung Judas folgen müssen.
Dass der Tempel, das Sinnzentrum und die Wohnstätte Gottes, zerstört werden konnte, beweist doch: Der darin wohnende Gott konnte sich nicht wehren. Nebukadnezar hat diesen Gott besiegt. Also müssen Nebukadnezars Götter stärker gewesen sein. Also können wir diesen Gott vergessen. Wir sind einem Phantom aufgesessen. Lasst uns Nebukadnezars Götter anbeten – so lautet der Schluss, den das besiegte Volk aus Judas Verwüstung und der Zerstörung des Tempels hätte ziehen müssen.
Aber etwas ganz anderes geschieht. Das Volk, und das ist einmalig in der Weltgeschichte, überlebt seinen eigenen Untergang und geht erneuert daraus hervor. Sowohl die im Land verbliebenen, unter babylonischer Besatzung lebenden Judäer als auch die Exil-Judäer halten fest an ihrem Gott, vermischen sich nicht mit den Babyloniern und anderen Völkern, bleiben zusammen, bewahren sich ihre Identität, üben ihre Religion aus, lesen und überarbeiten ihre alten Texte, und dabei gewinnt ihre Religion im Verlauf zweier Jahrhunderte ihre endgültige Form. Jetzt erst entsteht das Alte Testament in seinen wesentlichen Teilen, wie wir es kennen. Und jetzt erst vollzieht sich die Wende eines ganzen Volkes zum Monotheismus. In den Jahren zwischen 587 und ungefähr 440 vor Christus entsteht die jüdische Weltreligion, wie wir sie noch heute kennen.
Wie konnte aus der babylonischen Vernichtung eine neue Religion entstehen? Warum entging Juda dem Schicksal Israels? Drei wichtige Gründe lassen sich nennen, die nicht zwangsläufig zu diesem Ergebnis führen mussten, aber wichtige Beiträge zu dessen Ermöglichung geleistet haben. Der erste Grund liegt in der Politik des Königs Nebukadnezar. Das in Juda zurückgebliebene Teilvolk wird nicht, wie bei den Assyrern, zwangsvermischt mit anderen Völkern, und die nach Babylon Deportierten dürfen dort zusammenbleiben und Kolonien bilden. Das ist eminent wichtig, denn sowohl daheim in Juda wie in der babylonischen Fremde können sich die beiden Teilvölker gemeinsam an der Frage abarbeiten: Warum ist uns das geschehen? Aus der Antwort, die man schließlich finden wird, kristallisiert sich die jüdische Religion heraus.
Der zweite Grund liegt drei Jahrzehnte zurück und lieferte eine erste Teilantwort auf diese Frage. Im Jahr 622 lässt König Josia den Tempel renovieren. Bei diesen Arbeiten machen die Handwerker einen sensationellen Fund, den die Priester sofort als alten Gesetzestext identifizieren und dem König vorlesen.
Es ist, so wird heute mit guten Gründen vermutet, eine Vorstufe des uns als Buch Deuteronomium (5. Buch Mose) bekannten Teils der Tora, und dieser Fund leitet die monotheistische Wende ein. Der Text ist für den König und seine Priester ein Schock, denn er macht ihnen klar, dass das ganze Volk ständig gegen Gottes Alleinverehrungsanspruch verstoßen hatte. Die Anbetung auch anderer Götter war bis dahin gängige Praxis in Israel. Sogar im Tempel wurde dem Baal und der Göttin Aschera Tribut gezollt, und überall im Land, auf den Bergen, gab es Opfer- und Kultstätten für fremde Götter.
In den alttestamentlichen Texten, die sich auf die Zeit zwischen dem Sinai-Bund und der Zerstörung Israels beziehen, liest man immer wieder von einem Rückfall des Volkes in die Vielgötterei. Aber das sind spätere Einfügungen in die alten Texte. Das Volk konnte gar nicht zurückfallen in die Vielgötterei, weil es tatsächlich noch gar nicht monotheistisch war.
Erst jetzt, nach dem Verschwinden Israels von der Landkarte und der Konfrontation mit einem Text, der die Alleinverehrung Gottes verlangt, schwenkt das Volk auf den
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