Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Regierungen durch eine permanente Verbesserung der Gesetzgebung anzukämpfen. Aber das Ergebnis ist nicht Gerechtigkeit, sondern Bürokratie. Eine in absurde Höhen geschraubte Gesetzesspirale verhilft schon längst nicht mehr dem Schwachen zu seinem Recht, sondern begünstigt denjenigen, der sich Heerscharen von Anwälten, Steuerberatern, Lobbyisten und einen eigenen Interessenverband leisten kann. Das Treiben dieser Gruppen produziert eine bürokratisch-technokratische Prozesshansel-Gesellschaft, in der jeder jeden blockiert.
An der Einsicht, dass die besten Gesetze und die besten Regierungen nichts taugen, wenn die Haltung der Regierenden und der Regierten nichts taugt, setzen Johannes der Täufer und Jesus den Hebel an. Ihre Lösung lautet: Raus aus diesem absurden System. Exodus. Johannes erinnert an den Exodus in seiner Bußpredigt und gibt ihm, wie später auch Jesus, eine neue Bedeutung. Exodus bedeutet jetzt Exodus aus dem real existierenden Israel in jenes Israel, wie es ursprünglich einmal gedacht war. Das Land, das ich dir zeigen will , heißt jetzt Reich Gottes . Die Einbürgerung erfolgt nicht mehr automatisch qua Geburt und der richtigen Volkszugehörigkeit, sondern erfordert die bewusste Entscheidung jedes Einzelnen. Und der Weg zur neuen Staatsbürgerschaft führt über Exodus, Umkehr und Buße.
Buße bedeutet etwas sehr Einfaches, was aber dennoch jedem Menschen schwerfällt. Buße verlangt vom Menschen, die hohe Meinung, die er irrigerweise von sich selbst hat, abzulegen. Das gelingt ihm ziemlich mühelos, wenn es um die Mitmenschen geht. Nur sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist, fällt unendlich schwer, weil jeder instinktiv fühlt: Man würde vor sich selbst erschrecken. Man müsste sich eingestehen: Die Welt ist, wie sie ist, weil ich so bin, wie ich bin.
Buße bedeutet die schockierende Einsicht, dass man es günstigen Einflüssen und Umständen, der bloßen Angst vor Strafe oder einem Mangel an Gelegenheit zu verdanken hat, wenn man nicht zum Lügner, Betrüger, Mörder oder Dieb geworden ist. Buße bedeutet einzusehen, dass man sich mehr seinen eigenen Zufällen – sozialer Herkunft, Geburtsort, Zeitpunkt der Geburt, Erziehung, einer robusten Konstitution und so weiter – verdankt als seiner eigenen Leistung. Buße bedeutet zu verstehen, dass man keinen Grund hat, auf den Zöllner, die Hure, den Opportunisten, die Heuschrecke, den korrupten Politiker, den Stasispitzel oder den bestechlichen Beamten verächtlich herabzublicken, denn möglicherweise wurde man nur durch ein günstiges Schicksal davor bewahrt, selbst Mitglied dieser verachteten Gruppen geworden zu sein. Erst dann, wenn man verzweifelt in seine eigenen Abgründe geblickt hat, ist man in der Lage, Mördern, Spitzeln oder gar KZ-Aufsehern zu vergeben. Und nur die Vergebung, nicht die Verachtung, kann den Mörder verwandeln. Den verwandelten, bereuenden Mörder aber können wir wieder annehmen, achten und vielleicht sogar lieben.
Buße verlangt nach Umkehr. Sie ist der Exodus aus der eigenen Natürlichkeit und den bisherigen Verhältnissen, sie ist der Bruch mit der eigenen Herkunft und Vergangenheit und jene innere Kehrtwende des ganzen Menschen, die nicht nur dessen Verhalten radikal ändert, sondern zuvörderst dessen Haltung.
Jesus wusste nichts von der Evolution, aber er spricht die ganze Zeit so, als ob er etwas davon wüsste, denn sinngemäß predigt er den Menschen: Ihr, die ihr euch nach einem Jahrmillionen währenden Kampf ums Dasein eine Kampfausstattung zugelegt habt, die euch zu den größten, stärksten und raffiniertesten Siegern gemacht hat, sollt eure Rüstung ablegen, denn ihr braucht sie nicht mehr. Längst habt ihr in eurer evolutionären Entwicklung einen Punkt erreicht, an dem eine weitere Steigerung eurer Kampfkraft keine weitere Steigerung eures Überlebensvorteils mehr darstellt, sondern in ihr Gegenteil umschlägt. Darum müsst ihr raus aus dieser Rüstungsspirale der Evolution. Abrüsten ist angesagt. Und was ihr jetzt braucht, ist etwas ganz anderes: Liebe. Sehende Liebe. Erkennende Liebe. Eine Verwandlung des Menschen bis ins Unbewusste hinein.
Das ist gemeint, wenn Jesus in der Bergpredigt sagt: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der wird dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen sein . (Matthäus 5, 21–22)
Oder: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du
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