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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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zurückliegenden Unheilszusammenhängen, unter anderem im deutschen Nationalsozialismus und im Holocaust.
    Dem Morden in Auschwitz wurde vor mehr als sechs Jahrzehnten ein Ende gemacht, aber der Holocaust wirkt sich unheilvoll aus bis heute, und wohl noch für lange Zeit, nicht nur in Israel. Die nach dem Krieg geborenen Deutschen haben weder Auschwitz verschuldet, noch haben sie etwas mit dem Nahostkonflikt zu tun, und doch sind sie in beides verstrickt und tragen deshalb, ob sie wollen oder nicht, eine Mitverantwortung.
    Ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Schuldzusammenhängen. Keiner der heute lebenden Europäer ist schuld am europäischen Kolonialismus, und doch ist jeder Europäer heute mitverantwortlich für die Folgen des Kolonialismus, vor allem für die Armut in der Dritten Welt, besonders für die alten, heute immer noch vorhandenen Unrechts- und Ausbeutungsstrukturen, und für die neuen sowieso.
    Die Rousseau’sche Vorstellung, ein Kind frei von äußeren Einflüssen erziehen zu können und dieses Kind dadurch in seinen guten natürlichen Urzustand hineinwachsen zu lassen, ist daher eine Illusion. Jedes Kind wird in ein von den Erwachsenen verursachtes Geflecht aus Lüge, Verschweigen, Unrecht und Schuld verstrickt, aus dem es selbst nicht mehr unschuldig herauskommt. Das ist gemeint mit Erbsünde. Das ist der Fluch, der seit Adam und Eva über uns liegt.

EXODUS UND RADIKALE UMKEHR
    Auf dem Menschen lastet ein Fluch. Aber das ist nicht das letzte Wort über ihn. Die durch seine Sündhaftigkeit ausgelöste Kette menschlicher Tragödien und Katastrophen kann gesprengt werden, und diese Sprengung beginnt mit einem Exodus.
    Und der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. (1 Mose 12, 1) Und Abraham geht.
    Dem Exodus des Stammvaters folgt der Exodus seiner Nachkommen aus Ägypten. In der Wüste werden sie zum Volk, scharen sich um die Thora. Nach ihr soll das Volk Gottes leben, sich dadurch von der Sünde befreien und den anderen Völkern zeigen, wie man leben muss, damit das Leben gelingt. So zumindest war es gedacht.
    Aber das Volk lebte meistens anders, in der Regel so, wie die übrigen Völker auch, sodass diese nichts lernen konnten. Offenbar wollte das Volk Gottes nicht nach Gottes Willen leben. Oder, noch schlimmer: Konnte es vielleicht gar nicht?
    Das ist eine der Fragen, die Juden und Christen bis zum heutigen Tag beschäftigt, und nicht nur sie. Andere Völker versuchten andere Antworten und andere Lösungen. Die Griechen zum Beispiel probierten es mit Ethik und Moral und einer Lehre vom guten Leben. Der Mensch soll das Gute erkennen. Wer es erkennt, wird es tun, glaubten die Optimisten unter den griechischen Philosophen. Hat auch nicht funktioniert. Die meisten wollen gar nicht unbedingt erkennen. Die es wollen, verwechseln das Gute mit ihren Wünschen. Die es erkennen, tun es nicht. Die es tun, machen meistens etwas falsch.
    Aber der Mensch ist doch vernunftbegabt, sagten die Aufklärer. Also müsste es doch endlich klappen, wenn man ihn dazu bringt, aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten und in freier Entscheidung Verantwortung für sich und die Welt zu übernehmen. Jedes vernunftbegabte Wesen, so dachte etwa Immanuel Kant, müsse doch aus eigener Einsicht den kategorischen Imperativ befolgen: «Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.»
    Das wäre in der Tat vernünftig, nur: Die Meinungen darüber, was als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte, gehen weiter auseinander, als sich das die Aufklärer in ihrem naiven Glauben an die Vernunft vorstellen konnten. Die Aufklärer waren noch nicht aufgeklärt genug.
    Und: Der Mensch verfügt zusätzlich zur Vernunft auch noch über jene Leidenschaften, Begierden und Sehnsüchte nach Geltung, Besitz, Macht und Lust, denen er seine Existenz und Entwicklung zum vernunftbegabten Wesen verdankt. Auf diese archaischen Instinkte, die sich in Jahrmillionen als erfolgreich bewährt haben, verlässt sich der Homo sapiens lieber als auf seine soeben erst erworbene junge Vernunft, die er hauptsächlich dazu benutzt, auf raffinierte Weise zu begründen, dass seine egoistischen, leidenschaftlich verfolgten Vitalinteressen erstaunlicherweise mit den allgemeinen Prinzipien der Vernunft übereinstimmen. Und wenn dann zwei gegensätzliche

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