Das Dach kommt spaeter
dieser neuen Facette ihres Mannes.
»Luschdig«, heuchelte meine Schwiegermutter Erheiterung. »Aber isch Murat net stattdesse Polizischt gworde? Vom Häusle bewache zum Häusle baue isch es noch a ziemlich weiter Weg, find i.«
Der Zweifel an meiner Kompetenz weckte den Ehrpussel in mir. Eigentlich war mein spontaner Vorschlag, die Architektenrolle zu übernehmen, nicht ganz ernst gemeint gewesen. Nun aber konnte ich gar nicht mehr anders, als mit aller Macht darauf zu beharren, dass ich der geeignete Mann dafür wäre.
Schwiegerpapa bereitete die Meinungsverschiedenheitzwischen mir und seiner Frau offensichtlich noch größere Pein als das Herunterwürgen des inzwischen aufgetischten Hauptgerichts. Außer ihm waren nur Ann-Marie und ich verbissen genug, sowohl das Fleisch als auch die Maultaschen aufzuessen – und ich gebe zu: Meine Geschmacksnerven wurden bis über die Grenze des Erträglichen hinaus belastet. Anne, Baba und Gisela griffen zu der bewährten Ausrede »sehr lecker, aber einfach zu mächtig« und ließen bis auf einen Testbissen alles stehen. Während Frank noch tapfer kaute, suchte er nach einer Kompromisslösung, die die Gemüter beruhigen würde.
»Murat, nur a zugelassener Architekt kann vom Bauamt eine Baugenehmigung bekomme. I denk, das soll Herr Pfleiderer übernehme. Der hat unser Heilbronner Häusle gebaut und praktiziert inzwische in Berlin.«
Mir war nicht klar, worauf er hinauswollte. Also versuchte ich, Zeit zu gewinnen. »Der praktiziert noch? Muss ja inzwischen uralt sein.«
»Hallo? Hältscht du uns für Dinosaurier? Pfleiderer isch knapp über sechzig. Außerdem hat Erfahrung noch niemand gschadet.«
»Also wie nun? Er reicht den Bau zur Genehmigung ein, und ich mach den Rest? Von mir aus gern. Das ist doch genau das, was ich vorgeschlagen habe.«
»I seh des so: Du zeichnescht a Entwurf. Bevor Pfleiderer den einreicht, muss er ihn sowieso auf sachgerechte Ausführung prüfe. Isch dei Entwurf umsetzbar: prima. Isch er es net: Dann muss halt der Architekt ran.«
»Okay, das hört sich nach einem fairen Vorschlag an. Aber wenn mein Plan ohne wesentliche Änderungen durchgeht, dann übernehme ich auch die Bauleitung.«
»Gut. Aber wenn Pfleiderer den Plan grundlegend überarbeite muss, geht die Bauleitung an ihn.«
»Hand drauf«, rief Ann-Marie begeistert. Sie hatte ein Faible für solch kernige Deals. Die fand sie irgendwie männlich.
»Prima, damit sind die Architektenkosten praktisch vom Tisch«, meinte ich. Hätte ich in die Zukunft sehen können, hätte ich die Wette noch im selben Moment rückgängig gemacht. »Bleibt immer noch die Frage, wie viel wir für das Grundstück investieren sollen. Wir brauchen mindestens sechshundert Quadratmeter.«
»Dreißigtausend«, warf mein Baba knochentrocken in die Runde.
»Baba, hast du nicht zugehört? Wir wollen in Berlin bauen, nicht in Anatolien.«
»Dreißigtausend«, wiederholte er ungerührt. »In Berlin. Zentral. Ist versprochen.«
Nun kannte ich meinen Vater schon ein Leben lang, aber er schaffte es immer wieder, mich zu überraschen. Wie kam er auf diesen für Berliner Verhältnisse unverschämt niedrigen Betrag? Baba war kein Spinner. Und erst recht kein Blender. Dass er überhaupt eine verbindliche Summe nannte, war ein deutliches Indiz, dass er bereits etwas Konkretes in Aussicht hatte.
Meine Mutter teilte diese Vermutung offenbar. »Süleyman, alter Schlawiner. Wovon redest du?«
Mein Vater lächelte nur verschmitzt und kratzte sich am Kopf. Kein Zweifel, er stand mit jemandem in Verhandlungen. Oder hatte er sogar schon etwas gekauft? Nein, das hätte er ohne Rücksprache mit mir nicht getan. Dazu war er zu korrekt.
»Schwiegerbaba«, schmeichelte Ann-Marie, »sag schon: Wie kommst du auf dreißigtausend?« Sie sah ihn dabei so bittend an, dass er es nicht übers Herz brachte, uns weiter auf die Folter zu spannen.
»Habe ich neulich in Verein von Hauskauf erzählt. KollegeRobert hat gleich gesagt: Hauskauf dumm, soll Murat besser bauen. Und erzählt von Grundstück gegenüber von sein eigene Haus. Hat er für Sohn gekauft, aber der jetzt nach Amerika gegangen.«
»Aber das ist ja toll, Schwiegerbaba!«, jauchzte Ann-Marie. Sobald meine Frau strahlt, bin ich sofort verliebt wie am ersten Tag. Ich kenne keinen Menschen, der sich so freuen kann wie sie.
»Schön. Aber um was für a Grundschtück handelt es sich genau?«
Von ihrer Mutter hat sie die Fähigkeit zur bedingungslosen Freude sicher nicht geerbt.
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