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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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funktioniert nun einmal am besten bei einem gemeinsamen Abendessen.«
    »Verstehe. Das setzt allerdings voraus, dass es unseren Eltern auch schmeckt. Menschen mit gequältem Magen werden dir keine klugen Ratschläge geben. Bedeutet also, wir müssen ein Menü aus dem Topf zaubern, das die unterschiedlichen Vorlieben unserer Eltern bedient.«
    »Na und? Nichts leichter als das.«
    Das war nun wiederum eine dieser fatalen Fehleinschätzungen, an denen die Geschichte der Menschheit so unendlich reich ist. Denn schon bald stellte sich heraus, dass unser Vorhaben mindestens so komplex war wie die israelisch-palästinensischen Beziehungen. Tagelang brütete Ann-Marie kulinarische Multikulti-Kreationen aus. Die Ideen, die sie mir abends im Bett präsentierte, ruinierten unser Sexleben nachhaltig. Meist wurde mir schon beim Vorlesen der Rezepte so schlecht, dass ich ins Bad verschwinden musste. Wenn ich dann halbwegs erholt zurückkam, war meine tollkühne Gastro-Chemikerin meist schon eingeschlafen. Hin und wieder hatte sie doch eine Idee im Angebot, die – zumindest theoretisch – halbwegs genießbar klang. Aus diesen Komponenten kreierte sie in der Wohnküche meiner Eltern eine Speisenfolge, die am Ende so aussah:
     
    Vorspeisen:
     
Cacık mit kandierter Laugenbrezel
Türkisch-schwäbischer Vorspeisenteller mit schwäbischem Kartoffelsalat auf Senf-Schnittlauch-Basis mit Sucuk-Streifen
Flädlesuppe, angedickt mit roten Linsen und scharfer Currypaste

 
     
    Hauptgang:
     
Grillteller mit Şiş Kebap, Köfte, Currywurst, Erbsen-Lamm-Boulette und schwäbischem Zwiebelrostbraten an Ayran-Humus-Ketchup-Soße, dazu Maultaschen tonnate

 
     
    Dessert:
     
Chili-Schupfnudeln an Radieschen-Honig-Pesto, mit Rakı flambiert
     
     
    Multikulturelle Bemühungen sind eine feine Sache, aber ich bin mir seit jenem Familienschmaus nicht mehr ganz sicher, ob sich dieser gute Wille auch aufs Kochen übertragen lässt. Bekanntermaßen ist »gut gemeint« ja das Gegenteil von »gut gemacht«. Dass bei diesem Menü kein Beitrag zum anderen passte, erwies sich aber immerhin als treffendes Spiegelbild des gesamten Abends. Dabei hatte ich mir im Vorfeld ernsthafte Gedanken über die Fragen gemacht, von denen ich glaubte, dass wir sie besprechen sollten. Schließlich wollten Ann-Marie und ich aus dem Treffen etwas mitnehmen, nicht weniger als einen Masterplan nämlich, der es uns ermöglichte, unser Haus so schnell wie möglich aus der Phantasie in die Realität zu beamen. Darum hatte ich sogar eine kleine Eingangsrede vorbereitet.
    »Liebe Gisela, lieber Frank, liebe Anne, lieber Baba. Wie ihr wisst, wollen Ann-Marie und ich kein Haus mehr kaufen.«
    Hier gab es bereits den ersten Zwischenfall, da mein Baba entweder das Wort kaufen überhört oder insgesamt nur mit halbem Ohr gelauscht hatte. Jedenfalls schlug er mit der Faust auf den Tisch und rief: »Kein Haus mehr? Soll Enkelin aufwachsen in Hundehütte?«
    Dass er unsere Wohnung als Hundehütte bezeichnete, fand ich allerhand. Hatte er mir nicht neulich noch weiszumachen versucht, unser Domizil könne locker eine sechzehnköpfige Großfamilie beherbergen? Schwiegermama passte Babas Gefühlsausbruch ebenfalls nicht. »I muss doch sehr bitte. Meine Tochter isch a Häberle, und Häberles lebe net in Hundehütte.«
    Ein großer Satz, gelassen ausgesprochen. Bevor diese widersinnige Diskussion endgültig eskalierte, legte ich meinem Vater beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Baba, du hast mich falsch verstanden. Natürlich werden unsere Kinder in einem schönen großen Haus aufwachsen.« Mein Vater nickte, auch wenn er keinesfalls beruhigt schien. »Aber, Baba, wir wollen das Haus nicht mehr kaufen, sondern selber bauen.«
    »Gut so. Denn so isch es bei uns Schwabe Tradition von alters her«, ließ sich mein Schwiegervater vernehmen.
    »Ist auch Tradition in Türkei.« Irgendwie war Baba auf Krawall gebürstet. Dabei ist er von Natur aus eigentlich die Gastfreundschaft in Person. Vielleicht schlug ihm das seltsame Essen aufs Gemüt.
    Bei den Vorspeisen hatte allgemein betretenes Schweigen geherrscht. Schon nach den ersten zurückhaltenden Bissen wurde das Besteck aus der Hand gelegt und mit Verweis auf die nachfolgenden Gänge Angst um die schlanke Linie vorgetäuscht. Meine Schwiegermutter war als Einzige etwas direkter.Demonstrativ griff sie sich einen Zahnstocher, pulte akribisch die Sucuk-Streifen aus ihren Zahnzwischenräumen und schnippte sie mit verächtlicher Geste auf den

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