Das Dach kommt spaeter
andauernden Basteleien hingen sowohl ein »Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder«- als auch ein »Umleitung«-Schild an der Zimmertür. Zu meinem großen Ärger hielt Baba sich nie an diese mehr als eindeutigen Hinweise, sondern stürmte in mein Allerheiligstes, wann immer es ihm passte – natürlich ohne anzuklopfen. Wenn ich ihn wütend auf die Schilder hinwies, sagte er lapidar: »Kannst du dich beschweren bei meine Eltern. Haften für mich.« Oder noch alberner: »Schild nicht gültig. Muss heißen: Ümleitung.«
Jedenfalls las ich in dieser Zeit kaum etwas anders als Doit-yourself-Ratgeber, Hausbau-Magazine, die
Schöner Wohnen
und Architekturführer. Schon bald war mir klar, dass es für mich nur eine einzige Berufung geben konnte – die Architektur. Leider hielten meine schulischen Leistungen mit meinen Ambitionen in keiner Weise Schritt. Insbesondere die Mathematik erwies sich als Achillesferse meines Berufswunsches. Mit sechzehn musste ich mir eingestehen, dass das global agierende Neuköllner Architekturbüro »Topal & Friends« mit seinen Dependancen in Hongkong, Miami, Sidney und dem zentralen »Topal-Tower« am Hermannplatz für immer ein Wunschtraum bleiben würde. Denn ich hatte mich entschieden, der Schule mit Abschluss der mittleren Reife den Laufpass zu geben und mich stattdessen insschnöde Berufsleben zu stürzen. Im Jobcenter geriet ich an einen bemerkenswerten Stummfisch, der mich stundenlang ohne Rückkopplung von meinen Hobbys berichten ließ und seine Berufsempfehlung in eine avantgardistische Pantomime-Performance verpackte. Ich verstand kein Wort von dem, was er nicht sagte. Von meiner Begriffsstutzigkeit entnervt, schrieb er seinen Vorschlag am Ende einfach auf einen DIN-A4-Zettel, knüllte mir den in die Hand und warf mich raus. Sein Gekritzel war genauso schwer zu entschlüsseln wie seine Mimik. Nach einigen vergeblichen Dekodierungsversuchen tippte ich letztlich auf »Bauzeichner«. Rückschauend betrachtet, war das eigentlich kein schlechter Vorschlag. Damals fand ich die Vorstellung jedoch entsetzlich langweilig. Dauernd Häuser zeichnen? Keine Spinnenmenschen, keine Capes, keine Superschurken, nur – Häuser? Wo sollte da der Spaß sein? Nein, dann doch lieber Karriere als Cartoonist machen. Als ich diesen Berufswunsch eines Abends meinem Baba beichtete, wurde der ernsthaft wütend und schrie: »Kartonist? Habe ich jahrelang geackert, damit Junge wird Lagerarbeiter?« Weswegen ich am Ende bei der Polizei landete. Und seitdem Brad Pitt beneide. Zumindest ein klitzekleines bisschen. Denn natürlich sehe ich besser aus und habe vor allem eine viel liebenswertere und attraktivere Frau geheiratet, die Gott sei Dank auch kein Faible für Massenadoption hat. Aber Mister Pitt hat im Gegensatz zu mir genug Kohle, um neben seinem Hauptjob seiner Architekturleidenschaft zu frönen.
Eigentlich bot die Wette mit Ann-Maries Vater jedoch weitaus mehr als läppische Hobbyaction für gelangweilte Hollywoodstars. Immerhin hatte ich die Möglichkeit, eine Traumvilla nicht nur selbst zu designen, sondern auch real umzusetzen. Ich wusste, dass das eine einzigartige Chance war. Und ebendieses Wissen bescherte mir eine ausgewachsene Kreativblockade. Mir fiel partout nichts ein, was verwertbargewesen wäre. Jeden Abend warf ich unzählige Entwürfe bereits nach den ersten krakeligen Strichen in den Papierkorb, der bald aussah wie ein Nichtswerthof. Meine Liebste, inzwischen kurz vor ihrer zweiten Niederkunft, wurde immer nervöser und steckte mit ihrer Unruhe die gesamte Familie an. Ständig hatte ich gut gemeinte Nachrichten auf der Mobilbox, die meine Schaffenskraft nur noch stärker hemmten.
»Murat, hier spricht dein Schwiegervater. I weiß, so ein Grundriss entsteht nicht über Nacht. Aber denk dran, dass ihr bald zu viert seid. Deine Familie sollte net in einem Verlies wohne müsse, in dem selbscht Zwerg Nase Platzangst bekomme hätt.«
Piep.
»Muratle, hier isch Gisela. I wollt dir sage, dass i unglaublich stolz bin, so en kreative und begabte Schwiegersohn zu habe. Aber wenn du ein erfolgreicher Comedian bleibe willscht, muscht du dich stärker fokussiere und deine Kräfte bündeln. Deshalb hab i mit Herrn Pfleiderer telefoniert. Er isch bereit, den Planungsauftrag zu übernehme. Ruf mi bitte kurz an, dann geb i dir seine Kontaktdate.«
Piep.
»Murat, Schatz. Wenn du verhindern willst, dass deine Mutter auf ihre alten Tage in den Wahnsinn getrieben wird, dann mach bitte
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