Das Dach kommt spaeter
tröstete ich mich als kommender Hauseigentümer schon einmal im branchentypischen Jargon.
»Komme ich mit Gerd. Ist guter Mann …«
»... der arbeitet aus Leidenschaft. Ich weiß.« In Wahrheit konnte ich mich nicht erinnern, dass Gerd bei der Aktion Eiche freiwillig auch nur einen Handschlag getan hatte. »Sag ihm, er soll diesmal keine Funktionskleidung anziehen«, mahnte ich und legte auf.
Jetzt galt es, schnell zu sein und meine unverzeihliche Amnesie auszubügeln. In den nächsten zwei Stunden telefonierte ich mich hektisch durch halb Berlin, um diesen verfluchten Radlader aufzutreiben. Vergeblich. Alles ausgebucht. Was für eine Schlappe! Mussten alle Hauptstädter ausgerechnet an diesem Wochenende ihre Datschen plätten? Wenn ich dieses Problem nicht gelöst bekam, brauchte ich mich bei meiner Sippe nicht mehr sehen zu lassen. Vieles wird verziehen – Unzuverlässigkeit nie. Blieb nur Dirk. Der war zwar teuer, aber das brauchte ja niemand zu erfahren.
»Hey Dirk, ich hab es jetzt geklärt. Ich nehme den Kramer 200.«
»Den Kramer? Gute Wahl. Für wann?«
»Dieses Wochenende.«
»Irre lustig. Als Profi solltest du bessere Witze auf Lager haben.«
»Ich meine es ernst, Dirk. Dieses Wochenende. Lass mich nicht im Stich!«
»Aua. Murat, du hast wieder einen Termin verkackt. Gib’s zu!«
»Ja, hab ich. Zufrieden? Hör mal, wir sind doch alte Kumpel. Kannst du mir nicht dieses eine Mal aus der Klemme helfen?«
»Bleib dran. Ich schaue, was ich tun kann.«
Im Hintergrund hörte ich es rascheln. Wahrscheinlich blätterte Dirk die Auftragsbücher durch und überlegte, welchen seiner nicht ganz so guten Kunden er mit einer plötzlichen Absage überraschen konnte. Ich fand mein Verhalten gegenüber Dirk – und besonders gegenüber dem armen Teufel, der an diesem Wochenende unverhofft ohne Bagger dastehen sollte – mies, wusste mir aber in meiner Not nicht anders zu helfen. Nie hätte ich Baba gestehen können, den Abrisstermin verbaselt zu haben.
»Murat?«
»Ja?«
»Tut mir leid, ich kann da nichts drehen. Das sind alles regelmäßige Kunden von uns. Die kann ich nicht vergrätzen.«
»Fuck!« Ich fluche so gut wie nie. In diesem Moment ging es nicht anders.
Im Grunde meines Herzens war mir Dirk schon immer unsympathisch. Ein Egoist, wie er im Buch der schlechten Charaktere steht. »Ich versteh schon. Kumpelhilfe ist nur ein leeres Wort.« Dass ich ihn nur aus purer Verzweiflung angerufen hatte, verschwieg ich lieber.
»Murat, das ist unfair.«
»Unfair? Hilfst du mir denn? Ist nicht viel von zu merken.«
»Hör zu, Murat. Ich hab hier noch einen Kramer 350. Der geht Montag früh an eine Großbaustelle. Extrem wichtiger Kunde von uns. Muss morgen tagsüber noch zur Inspektion.Von mir aus kannst du ihn um fünf in der Werkstatt abholen. Ich sag denen, dass du ein neuer Mitarbeiter von uns bist. Bis spätestens Sonntagabend um sechs musst du das Teil aber heil, frisch gewaschen und vollgetankt zurückgebracht haben. Das heißt, zwei Tage müssen reichen. Ist das klar?«
»Dirk, ich liebe dich.« Leidenschaftlichere Gefühle konnte man für einen Freund nicht hegen. Was für ein edler, großherziger und generöser Mensch. Und attraktiv obendrein.
»Zu spät, Murat, ich bin schon verheiratet. Dir ist hoffentlich klar, dass der 350er ein amtliches Gerät ist? Wenn du damit nicht umgehen kannst, sag’s bitte jetzt.«
»Don’t worry. Ich hatte den schon mal in der Mache.« Ich lüge so gut wie nie. In diesem Moment ging es nicht anders.
»Na gut, aber kein Wort zu niemandem! Wenn mein Chef von dem Deal Wind kriegt, bin ich meinen Job los.«
Bevor mich das schlechte Gewissen übermannte und doch noch zu einem Rückzieher nötigte, beendete ich das Gespräch lieber. Schon der Kramer 200 hatte mir Respekt eingeflößt. Und sein großer Bruder war, wie ich im Internet sehen konnte, erheblich größer. Aber alles war besser, als meiner Familie einzugestehen, dass ich ein unfähiger Chaot war.
In der Nacht mimte ich mal wieder den schlaflosen Geräuschemacher. Warum war es heutzutage nur so schwer, ein Mann zu sein? Wahrscheinlich, weil die Erwartungen, die Ehefrau, Eltern und der Rest der Welt an einen stellten, oft so gegenläufig waren. Unsere Eltern sind noch in einem klaren Rollenbild aufgewachsen. Für sie soll ein Mann sagen, wo es langgeht und seiner Familie auf ihrem Lebensweg tatkräftig die Hindernisse beiseiteräumen. Die meisten Frauen von heute – und meine Gattin war dafür ein
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