Das Dach kommt spaeter
Ich nickte überheblich.
»Perhaps I will invite you to a little flight. Just the two of us, you know. I learned to fly in the army.«
Jetzt ging der Märchenonkel endgültig mit mir durch. Bevor ich anfinge, ihr von meinen heroischen Afghanistan-Einsätzen zu berichten, suchte ich unter einem fadenscheinigen Vorwand eilig das Weite.
Abgesehen von diesen kleinen Vergnügungen war es wenig unterhaltsam, einen Familienurlaub ohne Familie zu verbringen. Während die anderen Papis im Sonnenschein mit ihren Kindern am Strand tollten, frönte ich der Tristesse eines verlassenen Ehemanns und lag bei zugezogenen Vorhängen stundenlang apathisch auf dem Bett, um Ann-Marie und den Kleinen nachzutrauern.
Als ich nach den paar einsamen Urlaubstagen wieder am Flughafen Tegel landete, erwarteten mich statt Kanarensonne Berliner Schmuddelregen und ein überschaubares Empfangskomitee in Gestalt meines Babas. Ich hatte Anne und ihm bei einem zweiten Anruf aus Fuerteventura gestanden, wie es um meine Ehe und den Hausbau stand. Es wäre sowieso nicht lange zu verheimlichen gewesen. Wie immer, und dafür konnte ich meine Eltern gar nicht genug lieben, standen sie in schwierigen Situationen bedingungslos hinter mir.
»Oğlum«, nahm Baba mich tröstend in den Arm. »Wird alles gut. Anne und ich helfen.« Um ein Haar hätte ich gleich wieder losgeheult. »Hast du angerufen deine Frau?«
»Nee.«
Solange unser Traumhaus eine Ruine war, konnte ich mir das Telefongeld sparen. Dazu kannte ich meine Noch-Gattin gut genug. »Weißt du denn, wo sie ist, Baba?«
»Bei Frank und Gisela. In Heilbronn.« Gut, wo sonst hätte sie mit den zwei Kleinen groß hingehen können? Es beruhigte mich aber, dass meine beiden Augensterne bei Oma und Opa waren. Wo könnte es ein Kind besser haben als beiden Großeltern? Beeindruckend, wie in Würde ergraute Menschen in Anwesenheit ihrer Enkel selbst wieder zu Kindern werden. Als Baba mit dem noch ganz kleinen Levin herumtobte, fragte ich ihn eines Tages: »Bist du mit mir früher eigentlich auch so ausgiebig wiehernd über den Boden gerobbt?«
»Waren andere Zeiten, Sohn. Außerdem Levin viel kleiner.«
Ach so!
Schwerfällig tuckerten wir in dem altersschwachen Benz Richtung Neukölln. »Lass uns einen kleinen Umweg über Britz machen«, reagierte ich auf die endlosen Fragen meines Erzeugers, der unbedingt wissen wollte, wie es auf der Baustelle weitergehen würde. Das hätte ich selbst gern gewusst.
Auf den ersten Blick sah unser Domus erstaunlich manierlich aus. Der Keller war fertiggemauert, die Kellerdecke eingezogen, sämtliche Wände im Erdgeschoss standen ebenfalls. Ich hatte es mir erheblich schlimmer vorgestellt. Und vor allem nicht mit der Anwesenheit meines Bauleiters gerechnet.
»Na kiek ma eener an, der vornehme Herr Tourist lässt sich ooch ma wieda blicken. Is det Meer ausjetrocknet? Oda wat?«
»Herr Kosewitz! Was machen Sie denn hier? Ich denke, die Baustelle ist geschlossen?«
»Na, Sie sind ja putzich. Darf ick deswejen keen Dach überm Kopp ham?«
Während meiner kurzen Kur hatte ich völlig vergessen, wie wirr der Mann mit der Wechselstromfrisur zu reden pflegte. Ich versuchte, mich behutsam dem Kern seiner Aussage zu nähern. »Jeder Mensch sollte ein Dach über dem Kopf haben. Dieses Haus hat aber noch keins. Deshalb verstehe ich nicht, was das mit Ihrem Besuch hier zu tun hat.«
»Wat für n Besuch? Ick wohne hier!«
»Ach so, Sie wohnen hier. Sagen Sie das doch gleich. Einen kurzen Moment dachte ich, dies wäre mein Haus.«
»Herr Topas, dit is keen Scherz. Ick hab von Schmuh in all den Monaten noch null Jehalt bekommen und kann deswejen meene Miete nich mehr zahlen.«
Ich schaute meinen Bauknecht prüfend an. Als Humorist war er bislang allenfalls unfreiwillig in Erscheinung getreten. Meinte er seine ungeheuerliche Behauptung etwa ernst? Noch wollte ich es nicht glauben.
»Herr Kosewitz, Sie und ich wissen, dass hier niemand wohnt. Weder Sie noch der Zauberdrache Paff. Warum bitte sind Sie wirklich hier?«
»Weil ick hier wohne. Ick schwör beim Bart meena Mutta.«
»Lassen Sie den Bart Ihrer Mutter aus dem Spiel. Wo in drei Teufels Namen wollen Sie in dieser Ruine wohnen?«
»Na, im Kella. Wo sonst? Dit Dach kommt ja späta.«
Er kicherte und hielt sich anscheinend für furchtbar schlagfertig. Ich dachte bei mir, dass mein Leben von Tag zu Tag merkwürdiger wurde. Hatte es schon einmal einen Bauherrn gegeben, der nach der Pleite seiner Baufirma seinem Bauleiter
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