Das Dach kommt spaeter
vergessen können, bei dem ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiss verhandelt werden sollte?War ich einfach nur ein unzuverlässiger Idiot? Oder eben doch gnadenlos überfordert, wie meine lebenskluge Gattin es von Anfang an vorhergesehen hatte?
»Bitte, wieso liest du meine SMS?«, wiederholte ich meine Angriffsverteidigung und nahm Ayla in den Arm, um sie zu trösten. Ann-Marie würdigte mich keiner Antwort. Stumm ließ sie das Handy auf den Tisch fallen, schnappte sich den schniefenden Levin und entschwand. Der ganze Speisesaal starrte mich an. Was konnte es an ereignislosen Ferienabenden Spannenderes geben als einen öffentlich ausgetragenen Familienkrach? Das war keine Bühne, die mir behagte. Ich nahm mein Telefon, drückte meine schutzbedürftige Tochter, die sich ein wenig beruhigt hatte und nur noch leise schluchzte, eng an mich und verließ, mit durchgedrücktem Rücken und ohne nach links und rechts zu schauen, den Raum. Ein geschlagener Held, der um den letzten Rest von Würde kämpfte. Unangenehmerweise kannte ich unsere Zimmernummer gar nicht und musste einem pickligen Rezeptionisten in einer peinlichen Prozedur meine Papiere zeigen, um von ihm einen zweiten Schlüssel zu bekommen.
Der Raum lag im vierten Stock am Ende eines schier endlosen Ganges, und als ich dort endlich ankam, war die Kleine in meinem Arm eingeschlafen. Ich war unschlüssig, ob ich den Schlüssel nutzen oder doch lieber anklopfen sollte. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich für Klopfen. Ich wollte nicht als unwillkommener Eindringling behandelt werden. Von drinnen kam keine Reaktion. Nach einem zweiten erfolglosen Versuch öffnete ich die Tür selbst. Ann-Marie lag verheult auf dem Doppelbett und fixierte den ohne Ton laufenden Fernseher, während unser Sohn in einem der beiden Aufstellbettchen schlummerte. Vorsichtig bettete ich Ayla in das andere und deckte sie sachte zu. Dann legte ich mich neben meine Frau.
»Bitte verzeih mir, Ann-Marie. Es tut mir wahnsinnig leid. Ich weiß auch nicht, wie ich diesen blöden Termin vergessen konnte.«
»Hör zu, Murat«, um unsere Kinder nicht zu wecken, mussten wir notgedrungen flüstern, was dem Gespräch einen surrealen Touch gab, »Zeit für seine Familie zu haben ist eine Sache. Seine Aufgaben zuverlässig zu erledigen eine andere. Wenn jemand beides nicht hinbekommt, muss man irgendwann Konsequenzen ziehen. Und das werde ich. Verlass dich drauf!«
Offenbar spielte sie wieder auf ihre vor meinem Fuerteventura-Einfall geäußerten Trennungsabsichten an. Ich versuchte sie, soweit das im Flüsterton möglich war, eindringlich von der Tiefe meiner Zerknirschtheit und der Aufrichtigkeit meiner Reue zu überzeugen und beschwor sie, schon im Interesse unserer Kinder, keine falschen Entscheidungen zu treffen. Allein: Ich drang nicht zu ihr durch. Ihre Reaktionen beschränkten sich auf knappe Repliken wie »Das sagst du doch immer« oder »Lass einfach stecken«. Am Ende war ich von dem anstrengenden Flug, der krankhaften Buddelei und den intensiven Beschwörungsreden so erschöpft, dass ich mitten im Satz einschlief.
Ich erwachte, weil mich die Sonne in der Nase kitzelte und ich heftig niesen musste. Als ich mir den Schnodder von der Nase wischte, stellte ich fest: Ich war allein. Ein Blick auf die Uhr belehrte mich, dass es schon halb elf war. Frühstück gab es bis zehn, also war Ann-Marie mit den Kindern wohl unten. Bestimmt hatte sie keine Lust auf eine morgendliche Fortsetzung der Beziehungsdiskussion verspürt und mich deshalb schlafen lassen. Ich beschloss, als Erstes das abends versäumte Abhören der Mobilbox nachzuholen, dann in Ruhe zu duschen und mich erst danach auf die Suche nachmeiner Familie zu machen. Sie konnte auf der Insel ja schlecht verlorengehen. Inzwischen waren es bereits fünfzehn Nachrichten, die meiner harrten. War Kosewitz jetzt endgültig durchgedreht? Oder wer wollte mich da unbedingt sprechen? Seufzend wählte ich zum Abhören die 3311. Die ersten drei Botschaften waren von Pfleiderer. Fragte er bei den ersten beiden noch besorgt, wo ich denn bleibe, war er beim dritten Anruf hörbar aufgebracht. »So, Herr Topal, geht es nicht. Ich bin nicht Ihr Hanswurst. Ich schicke Ihnen jetzt meine Rechnung, und das war es dann.« Prima, den Anwalt war ich also auch los.
Die nächsten acht Nachrichten waren schnell abgearbeitet, denn nach dem Piepton wurde immer gleich aufgelegt. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es jedes Mal mein bekloppter
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