Das Daemonenschiff
sein Leben.
Der Vampyr in ihm griff nach dem unsichtbaren, pulsierenden
Quell tief in der Seele dieses Mannes, packte ihn und saugte
jedes Fünkchen Leben binnen eines einzigen Lidschlages aus
ihm heraus.
Der Krieger erstarrte. Seine Augen wurden groß, und im allerletzten Moment kehrte noch einmal ein Funke jener Menschlichkeit in ihren Blick zurück, die ihnen durch eine unbegreifliche Kraft genommen worden war – ein kurzer Moment,
zu kurz, um ihn den Schmerz über diesen Verlust spüren zu
lassen. Sein Körper erschlaffte. Das Schwert entglitt seinen
kraftlosen Fingern und bohrte sich nur eine Handbreit neben
Andrej ins Eis, wo es zitternd stecken blieb, und sein Körper
erschlaffte und fiel dann leblos nach hinten.
Diesmal war es schlimmer als je zuvor. Andrej hatte unzählige
Leben genommen, um deren Kraft mit seiner eigenen zu vereinen, und viele dieser Seelen waren verdorben gewesen; düstere
Kreaturen, die sich im Körper eines Menschen versteckten, um
das Ungeheuer zu verbergen, das sie in Wahrheit waren. Manche waren verlockend gewesen, einige so stark, dass er nicht
sicher gewesen war, sie zu überwinden, und mehr als einmal
hatte er das Empfinden gehabt, etwas Verdorbenes berührt zu
haben, etwas, das seine Seele besudelte und sie verändern musste, wenn er nicht achtgab. Dieses Mal aber spürte er etwas Neues … etwas, das ihn verwirrte. Wie schleichendes Gift durchdrang es seinen Körper, ohne seine Seele zu berühren.
Die Flamme erlosch, und eine tiefe, verzehrende Erschöpfung
ergriff von Andrej Besitz. Der Vampyr in ihm heulte enttäuscht
auf, denn dieses kurze Mal hatte ihn mehr Kraft gekostet, als es
ihm gegeben hatte. Er spürte die Müdigkeit wie eine Woge der
Erschöpfung, eine verlockende, wohlige Wärme wie nach einem
berauschenden Liebesakt, nur unendlich tiefer und intimer.
Statt ihr nachzugeben, zwang er sich, die Augen zu öffnen und
sich aufzusetzen. Alles drehte sich um ihn, und in seinem Mund
war ein schlechter Geschmack, als hätte er etwas Verdorbenes
gegessen. Schritte näherten sich, er vernahm das Rascheln von
Kleidern und erregte Stimmen. Eine davon gehörte Abu Dun.
Andrej drehte benommen den Kopf und sah seinen Freund mit
weit ausgreifenden Schritten heranstürmen. Sein Turban hatte
sich gelöst und wehte wie eine schwarze Schleppe hinter ihm
her, und auf der breiten Klinge seines Krummsäbels glänzte frisches Blut. Irrte er sich, oder zog Abu Dun das rechte Bein ein
wenig nach?
Umständlich wälzte er sich herum, signalisierte Abu Dun mit
einem beruhigenden Blick, dass alles in Ordnung war, und kroch
auf Händen und Knien zu Björn. Der blonde Riese lebte noch.
Er war bei Bewusstsein, aber auf seinen Augen lag ein Schleier,
und er krümmte sich stöhnend vor Schmerz. Zwischen seinen
Fingern, die er immer noch mit verzweifelter Kraft gegen die offene Wunde presste, pulsierte hellrotes Blut. Der Nordmann lag
bereits in einer dampfenden roten Pfütze, deren verlockender
Geruch nach Leben das Ungeheuer tief am Grunde von Andrejs
Seele vor Gier aufheulen ließ.
»Es ist alles in Ordnung, Björn. Hilfe ist unterwegs. Sie sind
gleich da.«
Er kam sich bei diesen Worten … schäbig vor. Björn lag im
Sterben. Das Leben floss aus ihm heraus, schnell und immer
schneller, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Er
konnte Leben nehmen, nicht geben. Trotzdem sagte er noch
einmal: »Halt durch!«
»Es ist gut. Ich kümmere mich jetzt um ihn.«
Ein Schatten legte sich über Björns Gesicht, und eine Hand ergriff Andrej an der Schulter und zerrte ihn so grob zur Seite,
dass er auf dem schlüpfrigen Untergrund beinahe den Halt verloren hätte. Aber sein Zorn verrauchte augenblicklich, als er
Thure erkannte, der seine Axt achtlos fallen ließ und dann neben
seinem Bruder auf die Knie sank. Im nächsten Moment ergriff
eine noch stärkere Hand seine Schulter und zerrte ihn unsanft
auf die Füße. »Ist alles in Ordnung, Hexenmeister?«, stieß Abu
Dun besorgt hervor.
»Ja«, antwortete Andrej spontan, streifte Abu Duns Hand ab
und verbesserte sich kopfschüttelnd. »Nein. Ich … was war das,
Abu Dun? Der … der Kerl hätte mich beinahe umgebracht!«
»Da war er sicher nicht der erste, der das versucht hat«, sagte
Abu Dun, aber nur, um sofort erschrocken hinzuzufügen: »Meiner war genauso. Der Kerl hat gekämpft wie einer von uns!«
»Aber das war er nicht.« Andrej warf ihm einen raschen,
mahnenden Blick zu und sah wieder zu Thure hin.
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