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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wusste, dass er schon längst fort war. »Das ist
auch der Grund, aus dem er gestern mit meinem Vater in Streit
geraten ist. Er gibt sich die Schuld an Lasses Tod.«
»Euer Bruder, der auf der Insel gestrandet ist?« Andrej trat
neben sie und folgte der Spur des Nordmannes einen Moment
lang mit Blicken. Thure schien tatsächlich in aller Eile vor ihnen
geflohen zu sein. Die herführende Spur zeugte dafür von umso
größerer Vorsicht. Immerhin war es ihm gelungen, sich anzuschleichen, ohne dass Andrej es bemerkt hatte; was nicht vielen
Männern gelang. Seltsamerweise kam seine Fährte nicht aus der
Richtung des Dorfes, sondern aus der entgegengesetzten.
»Gestrandet?« Urd sah ihn stirnrunzelnd an und schüttelte
dann heftig den Kopf. »Hat Thure dir das erzählt? Nein. Lasse
ist bestimmt nicht gestrandet. Er ist ganz bewusst dorthin
gefahren und hat alle Warnungen in den Wind geschlagen.«
»Warum?«
»Weil er ein Dummkopf war«, antwortete Urd so leichthin, als
sprächen sie über eine entlaufene Katze, nicht über ihren Bruder,
der vor wenigen Tagen ums Leben gekommen war. »Thure hatte
ihn gewarnt, und mein Vater hatte ihm verboten, sich der Insel
auch nur zu nähern, aber natürlich hat er es trotzdem getan.«
»Warum?«
»Weil er ein Dummkopf war.«
»Warum hat dein Vater es ihm verboten?«
»Die Insel ist verflucht«, antwortete Urd wie selbstverständlich. Dann runzelte sie die Stirn. »Das ist seltsam.«
»Was?«
»Ich …« Urd schüttelte den Kopf, schien für einen Moment zu
lauschen und lächelte dann wieder. »Ich dachte, ich hätte etwas
gehört. Aber ich habe mich wohl getäuscht.«
Andrej horchte nun ebenfalls und wollte ihr schon beipflichten –
alles, was er hörte, waren die Geräusche des Waldes, ganz sacht
durchdrungen vom regelmäßigen Rauschen der Brandung und den
gedämpften Lauten des erwachenden Dorfes – doch in diesem
Moment … spürte er etwas. Etwas, das auf eine bizarre Art vertraut
und, obwohl er schon so vieles erlebt und gesehen hatte, doch fremd
und Furcht einflößend war. Als wäre etwas Großes und sehr Gefährliches vorübergegangen und hätte sie mit seinem Odem gestreift.
»Du hast recht«, sagte er. »Dort oben ist etwas. Gibt es Wölfe
auf der Insel? Oder Bären?«
»Nur Schafe und ein paar entlaufene Hunde, die verwildert
sind«, antwortete Urd. »Aber sie fürchten unsere Nähe. Sie
wissen, dass die Menschen sie erschlagen würden.«
»Weil sie so gefährlich sind?«
»Weil sie dann und wann ein Schaf reißen. Meine Brüder dulden keine Konkurrenz.«
Das klang ebenso einleuchtend wie absurd, fand Andrej. Er
trat einen Schritt vor und lauschte noch einmal, diesmal mit allen seinen Sinnen, aber demselben Ergebnis. Was immer dort
oben gewesen war, war nun fort.
»Was gibt es auf dieser Höhe?«, fragte er.
»Nur Wald«, antwortete Urd. »Und ein paar Weiden. Warum
fragst du?«
Andrej antwortete nicht, sondern begann den Anstieg mit
langsamen Schritten. Das sonderbare Gefühl kam nicht wieder,
aber je weiter es zurücklag, desto mehr beunruhigte es ihn. Als
er weiterging, wollte Urd sich ihm anschließen, aber Andrej hob
erschrocken die Hand. »Bleib lieber hier.«
»Warum?«, fragte Urd belustigt. »Glaubst du, ich hätte Angst
vor ein paar Hunden? Warum denn, wenn ich doch so einen
großen und starken Beschützer bei mir habe.«
Andrej resignierte. Wahrscheinlich hatte sie recht, und seine
Fürsorge war übertrieben. Er zuckte mit den Schultern. »Aber
bleib hinter mir.«
»Selbstverständlich, mein Beschützer«, sagte Urd und trat mit
einem demonstrativen Schritt direkt neben ihn.
»Erzähl mir von dieser Insel«, sagte Andrej, während sie
nebeneinander langsam durch den Wald gingen. Die Steigung
des Bodens nahm ebenso allmählich wie stetig zu, und trockenes
Laub und Tannenadeln knisterten unter ihren nackten Füßen.
»Du hast gesagt, sie wäre verflucht? Wieso?«
»Ich dachte, du hättest es gesehen.« Andrej warf ihr einen
schrägen Blick zu und Urd fuhr etwas ernster, aber immer noch
belustigt, fort: »Ich weiß es nicht. Die Leute erzählen Geschichten von Ungeheuern und verfluchten Schiffen und zornigen
Göttern.« Sie hob die Schultern und unterbrach sich für einen
Moment, um sich unter einem tief hängenden Ast hindurchzuducken. »Man darf sie nicht ernst nehmen. In diesem Land sind
die Abende lang, und man hat viel Zeit, um Märchen zu erzählen. Oder sie sich auszudenken.« Sie lachte abfällig. Trotzdem
fuhr sie

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