Das Daemonenschiff
groß, um ihn eindeutig
bestimmen zu können, und der Anblick allein jagte ihm einen
eisigen Schauer über den Rücken.
»Was ist das, Andrej?«
Er sah hoch und bemerkte erst jetzt, dass Urd hinter ihn getreten war und sich neugierig vorbeugte. Ihr Gesicht war immer
noch bleich wie das einer Toten. »Welches Tier hinterlässt
solche Spuren?«
Andrej wusste ihr keine Antwort zu geben. Ein Tier? Er
konnte nur hoffen, dass es tatsächlich ein Tier gewesen war.
Mühsam richtete er sich wieder auf und wies mit dem Kopf zum
Dorf. »Komm. Ich finde, dein Vater sollte das hier sehen.« Der
Rabe krächzte zustimmend. Oder war es höhnisch?
Es war wieder Abend. Der Tag war noch kürzer gewesen und
noch schneller vorübergegangen, als Andrej befürchtet hatte,
und die Nacht war so plötzlich hereingebrochen, wie er es aus
Abu Duns Heimat kannte, aber mit der zehnfachen Kälte. Mit
der Dämmerung war Wind aufgekommen, der sich beinahe zu
einem Sturm gesteigert hatte und nun heulend am Dach des
Langhauses zerrte. Es klang, als strichen unsichtbare Dämonen
um das Gebäude und wimmerten vor Wut, nicht eingelassen zu
werden.
Andrej versuchte vergebens, sich an die Frage zu erinnern, die
König Harald ihm gerade gestellt hatte. Sie hatten sich wieder
an demselben langen Tisch versammelt wie schon zuvor, und
auch jetzt kamen die Frauen kaum damit nach, den Männern
Met nachzuschenken, den sie in unglaublichen Mengen in sich
hineinschütteten. Man hätte meinen können, dass das Fest der
vergangenen Nacht noch in vollem Gange wäre, nur dass
keinem der Männer zum Feiern zumute schien und in den
Gesichtern Bestürzung, Schrecken und blanke Furcht lag.
Erst vor wenigen Augenblicken waren die letzten Männer zurückgekommen. Einige Gesichter waren noch rot von der Kälte,
die nach Einbruch der Dunkelheit mit unsichtbaren Krallen über
die Insel hergefallen war, und Abu Duns Kleider (natürlich hatte
er zu den Letzten gehört, die eintrafen) dampften in der Wärme;
er sah jetzt tatsächlich aus wie ein Dämon, unter dessen schwarzer Haut das Feuer der Hölle schwelte.
»Thure?« König Harald, der anscheinend eingesehen hatte,
dass er von Andrej keine Antwort bekommen würde (auf welche
Frage auch immer), wandte sich leicht verärgert an seinen
Zweitältesten Sohn.
Der hünenhafte Nordmann schüttelte den Kopf. Er sah sehr
ernst aus. »Nichts. Wir haben die Insel von einem Ende zum
anderen durchsucht. Zweimal. Eine Meute räudiger Köter war
alles, was wir gefunden haben.«
Der alte König seufzte. Er sah sehr besorgt aus, aber Andrej
fragte sich, ob er den wahren Grund seiner Sorge kannte. Müde
ließ der Alte sich in seinen Stuhl zurücksinken, stützte den Kopf
gegen die geschnitzte Lehne und schloss für einen Moment die
Augen. Dann setzte er sich mit sichtbarer Anstrengung wieder
auf und blickte das tote Schaf an, das auf einem umgedrehten
Rundschild vor ihm auf der Tischplatte lag; so, wie erst gestern
Nacht ein Festmahl dort gestanden hatte. Der durchdringende
Gestank, den das Tier verströmte, erfüllte mittlerweile das
gesamte Haus. Nicht einmal der Geruch der heftig rußenden
Fackeln und zahlreichen Kerzen und Öllampen vermochte ihn
ganz zu überdecken.
Andrej nahm einen großen Schluck Met und behielt ihn so
lange im Mund, bis er daran zu ersticken glaubte. Das Zeug
schmeckte auch jetzt so widerwärtig süß wie gestern, aber der
Geschmack war ihm immer noch lieber als die saurer Galle, die
ihm beim Anblick des verendeten Tieres in die Kehle stieg.
»Aber etwas hat dieses Schaf getötet«, sagte Harald. »Und es
war kein Raubtier. Jedenfalls keines, von dem ich je gehört hätte.« Der Blick, den er Andrej bei diesen Worten zuwarf, machte
eine Frage daraus. Er beantwortete sie mit einem stummen
Kopfschütteln.
»Wenn es ein Tier war!«, sagte Thure. Der Einwurf handelte
ihm einen verärgerten Blick seines Vaters ein, doch er fuhr
trotzig fort: »So etwas kann kein Tier! Jedenfalls keines von
dieser Welt!«
»Und was genau willst du damit sagen?«, fragte Björn. Er saß
wieder zur Rechten seines Vaters und wirkte als einziger Mann
nicht durchgefroren, erschöpft und zu Tode verängstigt, dafür
aber noch genauso krank und blass wie gestern Abend. Andrej
war es immer noch ein Rätsel, wie er seine schweren Verletzungen hatte überleben können.
»Das weißt du so gut wie ich!«, antwortete Thure heftig. »Wir
wissen, wer uns dieses Ungeheuer geschickt hat, und
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