Das Dämonentor
dem nur ein rüsselartiges Organ hervorwuchs.
»Zurück!« schrie Necron gellend auf. Er riß die wie erstarrt wirkende Aeda einfach mit sich. Keinen Augenblick zu früh, denn schon stürzte krachend eine Mauer in sich zusammen, und die Trümmer verschütteten den unteren Teil der Treppe.
Im nächsten Moment war der Spuk verflogen.
»Die Statue in der Höhle sah anders aus«, bemerkte Necron noch unter dem Einfluß des Erlebten. Er hielt zwei Messer in Händen, war aber nicht mehr zum Wurf gekommen.
»Vielleicht eine Mumme von Catrox«, sagte Sadagar.
»Ob er uns gesehen hat?«
»Ich weiß nicht.«
Über die Mauertrümmer kletterten sie in den Hof hinab.
»Selbst in Korung findet sich noch Dämonisches«, fluchte Mnekarim. »Diesmal war es schlimm, ich habe zwei meiner Männer verloren.« Er starrte die Nykerier an, als erwarte er sich von ihnen einen besonderen Beistand. »Es wird Zeit, daß wieder ein fähiger Mann den Thron einnimmt. Ich kann mir keine falsche Rücksicht mehr erlauben.«
»Was wird aus Taremus?« fragte Aeda.
»Weiß ich, ob die Verheißung die Wahrheit sagt?« Der Umschwung in Mnekarims Ansichten konnte kaum deutlicher sein.
*
Die Zeit bis zum Morgen war noch lang, es wurde viel geredet und Pläne geschmiedet. Zum erstenmal erfuhren die Nykerier nun auch aus Mnekarims Mund, was sich vor 48 Jahren auf Tata zugetragen hatte.
Demnach war König Urus ein lasterhafter Mensch gewesen, der über den reichlich genossenen Freuden des Lebens mehr und mehr seine Regierungsgeschäfte vernachlässigte. Viel zu spät bemerkte er, daß die Einhorn-Inseln zum Eroberungsfeldzug rüsteten. Das war im Letzten Jahr des dritten Zyklus gewesen. Der Bruch mit dem großen und mächtigen Ostreich wurde damit endgültig.
In der bis zu 200 Fuß hohen, steil abfallenden Felswand unterhalb seines Wolkenpalasts hatte es schon immer eine Höhle gegeben, aus der zu bestimmten Zeiten Dunst hervorquoll. In seiner Verzweiflung faßte König Urus jenen Plan, der das Unheil über Tata brachte. Seine Magier begaben sich in die Endlose Höhle und beschworen die ihr innewohnenden unheimlichen Kräfte.
Daraufhin quollen die Nebel unaufhörlich aus der Höhle und hüllten im Verlauf weniger Monde die ganze Insel ein. Zugleich griff das Böse nach Tata, das sich in Gestalt des Dämons Catrox manifestierte. Aus einem bislang glücklichen Volk wurden Besessene, aus dem König ein Dämonisierter, der Glaube an den Lichtboten wurde bekämpft, und der Dämonenkult breitete sich aus.
»Die Endlose Höhle ist heute das Dämonentor, hinter dem die Heere der Finsternis lauern«, überlegte Steinmann Sadagar. »Wohin führt sie?«
»Wir wissen es nicht«, antwortete Mnekarim. »Aber wir werden es bald herausfinden.«
Der Morgen kam, und die fahle Helligkeit des Tages machte deutlich, daß der Einsturz der Mauer einen ganzen Seitenflügel des Schlößchens gefährdete. Schon kleinere Erschütterungen mochten genügen, auch diesen Teil in eine Ruine zu verwandeln.
»Ihr müßt mir helfen, Catrox zu vernichten«, verlangte Mnekarim von den Nykerien. »Der Thron von Tata steht auf dem Spiel.«
»Im Grunde genommen sind uns eure Streitigkeiten gleichgültig«, sagte Aeda. »Wir wollen Catrox ebenfalls zur Strecke bringen, aber nur, um einen Fluch von unserem Volk und unserer Heimat zu nehmen.«
Wortlos wandte der Tatase sich ab und ließ sich auch während der nächsten Stunden nicht mehr blicken.
»Ich fürchte«, wandte Necron sich an Aeda, »du hast ihn uns zum Feind gemacht.«
»Und?« brauste sie auf. »Soll ich deshalb mit der Wahrheit hinter dem Berg halten? Ich habe nicht vor, mich für die Zwecke der Tatasen einspannen zu lassen. Catrox spielt mit ihnen und hat seinen Spaß dabei. Oder glaubt einer von euch ernsthaft, daß der Dämon nicht in der Lage wäre, Korung zurückzuerobern?«
»Dann sind wir ebenfalls aufs Äußerste gefährdet.«
»Richtig«, nickte Aeda. »Deshalb bin ich der Meinung, wir sollten uns lieber heute als morgen davonmachen.«
»Ich frage mich, was Tobar dazu sagen wird«, erwiderte Sadagar. »Immerhin sind wir noch auf ihn angewiesen.«
Im Lauf des Abends gelang es ihnen, unbemerkt mit Tobar zu reden, der überraschenderweise keine Einwände gegen ihren Fluchtplan vorzubringen wußte. Er hatte inzwischen herausgefunden, daß Mnekarims Handeln von eigenen Machtgelüsten bestimmt wurde und er den Thron für sich selbst beanspruchen wollte.
»Taremus ist der rechtmäßige Herrscher«, sagte Tobar.
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