Das Dampfhaus
unser Nimrod uns unterwegs im Stiche ließe.
Kurz vor dem Orte, den man mit Recht die »heilige Stadt« nennen könnte, machte Banks uns auf einen geweihten Baum aufmerksam, welchen Pilger jedes Geschlechtes und jedes Alters andachtsvoll umringten.
Es war ein sogenannter »Pipal« mit ungeheurem Stamme; obwohl die meisten Aeste desselben vor Alter schon abgefallen schienen, konnte er doch nicht mehr als zwei-bis dreihundert Jahre zählen, was Louis Rousselet während seiner hochinteressanten Reise durch die indischen Gebiete der Rajahs zwei Jahre später bestätigte.
Dieser letzte Repräsentant der geweihten Pipals, welche eine lange Reihe von Jahrhunderten denselben Platz beschatteten und deren erster fünfhundert Jahre vor der christlichen Zeitrechnung gepflanzt worden sein soll, trug den religiösen Namen »Boddhi«. Wahrscheinlich galt er, im Glauben der um seinen Stamm knieenden Fanatiker, für denselben, den Buddha einst gesegnet haben soll. Er erhebt sich auf einer jetzt halbverfallenen Terrasse, in der Nähe eines Backstein-Tempels aus offenbar uralten Zeiten.
Die Anwesenheit der drei Europäer inmitten der Tausende von Hindus wurde mit ziemlich scheelen Augen betrachtet. Man ließ zwar nichts gegen uns verlauten, doch vermochten wir weder bis zu der Terrasse noch in den alten Tempel durchzudringen. Die Pilger bildeten eben wahre Mauern um jene Heiligthümer, durch welche man sich kaum hätte einen Weg bahnen können.
»Wäre ein Brahmane hier, begann Banks, so hätten wir mehr erreichen und das Bauwerk in allen Theilen besichtigen können.
– Wieso? fragte ich verwundert, sollte ein Priester minder streng sein als die Anhänger seiner Lehre?
– Mein lieber Maucler, belehrte mich Banks, es giebt keine Strenge, die vor dem Angebote einiger Rupien Stand hielte. Alles in Allem ist es sehr nothwendig, daß es Brahmanen giebt.
– Das begreife ich nicht im mindesten!« erwiderte Kapitän Hod, der eine unbezwingliche Abneigung hegte sowohl gegen die Indier, deren Sitten, Vorurtheile und die Objecte ihrer Verehrung, wie gegen die nachgiebige Duldung, welche seine Landsleute jenen gerechter Weise zu Theil werden ließen.
Augenblicklich erschien ihm Indien nur als »reservirtes Jagdgebiet« und für ihn hatten die wilden Raubthiere der Dschungeln mehr Werth als alle Bewohner der Städte und Dörfer zusammen.
Nach genügendem Aufenthalt in der Nähe des geweihten Baumes führte uns Banks in der Richtung nach Gaya weiter. Mit der Annäherung an die heilige Stadt vergrößerte sich die Menge der Pilger gleichmäßig. Bald ward uns durch eine Lichtung des Gebüsches Gaya auf dem Gipfel des Felsens sichtbar, den es mit seinen wunderlichen Baulichkeiten krönt.
Vor Allem ist es der Tempel Wischnu’s, der hier die Aufmerksamkeit der Reisenden erregt. Er erscheint von neuerer Bauart, da ihn die Königin von Holcar erst vor wenigen Jahren neu aufführen ließ. Die größte Merkwürdigkeit birgt dieser Tempel in den von Wischnu persönlich herrührenden Fußstapfen, als er einst zur Erde hernieder stieg, um gegen den Dämon Maya zu kämpfen. Der Kampf zwischen einem Gotte und einem bösen Geiste konnte nicht lange unentschieden bleiben. Der Teufel unterlag, und ein im Bereiche von Wischnu-Pad selbst sichtbarer Felsblock bezeugt durch die tiefen Fußabdrücke seines Gegners, daß dieser Dämon es hier mit einem weit Ueberlegenen zu thun hatte.
Wenn ich sagte, daß diese Fußstapfen auf dem Stein sichtbar wären, so beeile ich mich jedoch hinzuzufügen, daß das nur für Hindus giltig ist. Es wird nämlich kein Europäer zur Betrachtung dieser göttlichen Fußspuren zugelassen. Vielleicht gehört zu deren Erkennung auf dem wunderbaren Steine auch ein handfester Glaube, der den Leuten aus dem Abendlande ja meist abgeht. Diesmal vermochte Banks durch das Angebot seiner Rupien doch nichts durchzusetzen. Kein Priester wollte sich für irgend einen Preis zu einer Heiligthumsschändung erkaufen lassen. Ob nur die Höhe der Summe die Forderungen eines Brahmanen-Gewissens noch nicht erreichte, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls gelang es uns nicht, in den Tempel Zutritt zu erhalten, und ich bin also noch immer ohne Kenntniß von dem »Eindrucke« jenes sanften und schönen jungen Mannes von Azurfarbe, gekleidet wie ein König der alten Zeit, berühmt durch seine zehn Fleischwerdungen, den Vertreter des erhaltenden Princips, im Gegensatz zu Siva, der Verkörperung des zerstörenden Princips, den die Vaichnavas, die
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