Das Darwin-Virus
Buick, um nicht nass zu werden. Mitch ging im Regen an der Autoreihe auf dem kleinen Parkplatz am Roosevelt Way entlang, suchte nach dem Typ, der ihr vorschwebte – klein, Baujahr Ende der Neunziger, Volvo oder Japaner, vielleicht blau oder grün –, und blickte dann zu ihr hinüber: Sie hatte das Fenster heruntergekurbelt, um frische Luft zu bekommen.
Mitch nahm den nassen Filzhut ab und lächelte. »Wie wär’s mit der Schönheit da?« Er zeigte auf einen schwarzen Caprice.
»Nein«, sagte Kaye überzeugt. Mitch hatte ein Faible für große, alte amerikanische Autos. In ihrem geräumigen Inneren fühlte er sich zu Hause, und im Kofferraum konnte man Werkzeug oder Gesteinsbrocken transportieren. Am liebsten hätte er einen Geländewagen gekauft, und ein paar Tage lang hatten sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Kaye hatte nichts gegen Allradantrieb, aber sie hatten nichts gefunden, was sie sich nach eigener Einschätzung hätten leisten können. Sie wollte eine große Rücklage für Notfälle auf der Bank haben und hatte deshalb eine Obergrenze von zwölftausend Dollar gesetzt.
»Ich lasse mich von meiner Frau aushalten«, sagte er, den Hut traurig in der Hand, und senkte den Kopf vor dem Caprice.
Kaye überging es demonstrativ. Sie war schon den ganzen Vormittag schlechter Laune – beim Frühstück hatte sie ihn zwei Mal angefaucht, aber Mitch hatte den Tadel mit aufreizendem Mitgefühl hingenommen. Sie sehnte sich nach einem richtigen Streit, der ihr Blut in Wallung und ihre Gedanken in Bewegung brachte – der ihren Körper in Gang setzte. Sie war das nagende Gefühl im Bauch leid, das jetzt schon drei Tage anhielt. Sie war es leid zu warten, sich mit dem abzufinden, was sie da in sich trug.
Vor allem aber wollte sie gegen Mitch vom Leder ziehen, weil er sich einverstanden erklärt hatte, sie zu schwängern und diesen entsetzlichen, langwierigen Ablauf in Gang zu setzen.
Mitch schlenderte zu der zweiten Fahrzeugreihe und las die angebrachten Schilder. Eine Frau mit einem Regenschirm kam die Holzstufen von dem kleinen Bürocontainer herunter und sprach ihn an.
Kaye sah den beiden misstrauisch zu. Sie verabscheute sich selbst, verabscheute ihre verschrobenen, chaotischen Gefühle.
Keiner ihrer Gedanken machte den geringsten Sinn.
Mitch zeigte auf einen gebrauchten Lexus. »Viel zu teuer«, murmelte Kaye und knabberte an ihrer Fingernagelhaut. Und dann »Au, Scheiße!« Zuerst dachte sie, sie hätte in die Hose gemacht. Das Tröpfeln ging weiter, aber es war nicht die Blase. Sie fasste sich zwischen die Beine.
»Mitch!«, schrie sie. Er kam im Laufschritt, riss die Fahrertür auf, sprang in den Wagen und ließ den Motor gerade in dem Augenblick an, als sie sich unter dem ersten Fausthieb der dumpfen Schmerzen krümmte. Fast hätte sie auf das Armaturenbrett eingeschlagen. Er drückte sie mit einer Hand zurück. »Hilfe«, stöhnte sie.
»Wir sind schon unterwegs«, sagte Mitch. Er fuhr auf den Roosevelt Way, bog nach rechts in die 45. Straße ab, wich den Fahrzeugen auf der Überführung aus und nahm die scharfe Kurve auf die Stadtautobahn.
Die Schmerzen waren jetzt nicht ganz so stark. Ihr Magen fühlte sich an, als sei er voller Eiswasser, und ihre Beine zitterten.
»Wie geht’s?«, fragte Mitch.
»Angst«, sagte sie. »Ganz seltsam.«
Mitch gab Gas.
Sie spürte so etwas wie ein bisschen Stuhlgang. So primitiv, so natürlich, so unaussprechlich. Sie versuchte, die Beine zusammenzupressen und wusste nicht genau, was sie eigentlich empfand, was geschehen war. Die Schmerzen waren fast weg.
Als sie in die Notaufnahme des Marine Pacific Hospital einbogen, war sie ziemlich sicher, dass alles vorüber war.
Maria Konig hatte sie an Dr. Felicity Galbreath überwiesen, nachdem Kaye mit ihrem Ansinnen, eine SHEVASchwangerschaft zu Ende zu bringen, bei mehreren Kinderärzten auf Ablehnung gestoßen war. Ihre Krankenversicherung hatte ihr gekündigt; SHEVA galt als schon vorher bestehende Krankheit, aber mit Sicherheit nicht als natürliche Schwangerschaft.
Dr. Galbreath war an mehreren Krankenhäusern tätig, hatte ihre Praxis aber am Marine Pacific Hospital, einer großen, braunen, aus der Zeit der Wirtschaftskrise stammenden ArtDécoKlinik, die Aussicht auf die Stadtautobahn, den Lake Union und große Teile des Westens von Seattle bot. Außerdem unterrichtete Dr. Galbreath zwei Tage in der Woche an der Western Washington University, und Kaye fragte sich, wie sie im Leben noch Zeit für andere
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