Das Darwin-Virus
Dinge fand.
Die große, mollige Galbreath mit ihren runden Schultern, einem angenehm offenherzigen Gesicht und einem kurzen, dichten Schopf mausblonder Haare kam zwanzig Minuten, nachdem Kaye aufgenommen worden war, in das Mehrbettzimmer. Die Stationsschwester und der diensthabende Arzt hatten sie gewaschen und kurz untersucht. Auch eine Hebamme, die Kaye noch nie gesehen hatte, war bei ihr gewesen, nachdem sie durch einen kurzen Artikel im Seattle Weekly von dem Fall erfahren hatte.
Kaye saß aufrecht im Bett und trank ein Glas Orangensaft. Ihr Rücken schmerzte, aber ansonsten hatte sie es bequem.
»Nun ja, jetzt ist es passiert«, sagte Galbreath.
»Es ist passiert«, wiederholte Kaye träge.
»Ich habe gehört, es geht Ihnen gut.«
»Ich fühle mich schon viel besser.«
»Es tut mir Leid, dass ich nicht früher hier sein konnte. Ich war drüben an der medizinischen Fakultät.«
»Ich glaube, es war schon vorüber, bevor ich hier ankam«, sagte Kaye.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Mies. Eigentlich gesund, aber mies.«
»Wo ist Mitch?«
»Ich habe ihm gesagt, er soll mir das Baby bringen. Den Fetus.«
Galbreath starrte sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Staunen an. »Treiben Sie es da mit der Wissenschaft nicht ein bisschen zu weit?«
»Quatsch«, erwiderte Kaye aufgebracht.
»Sie könnten einen emotionalen Schock erleiden.«
»Doppelter Quatsch. Sie haben es weggenommen, ohne mir etwas zu sagen. Ich muss es unbedingt sehen. Ich muss wissen, was passiert ist.«
»Es war die Abstoßung nach dem ersten Stadium. Wie die aussehen, wissen wir«, sagte Galbreath leise, während sie Kaye den Puls fühlte und auf den angeschlossenen Monitor sah. Als Vorsichtsmaßnahme erhielt sie eine Infusion mit Salzlösung.
Mitch kam mit einer kleinen Edelstahlwanne. Sie war mit einem Tuch zugedeckt.
»Sie haben es runtergeschickt …« Er blickte auf, das Gesicht weiß wie ein Laken. »Ich weiß nicht, wohin. Ich musste ein bisschen rumbrüllen.«
Galbreath sah beide mit einem Ausdruck mühsamer Selbstbeherrschung an. »Es ist nur Gewebe, Kaye. Die Klinik muss es an ein autorisiertes Obduktionszentrum der Taskforce schicken. Das ist gesetzlich vorgeschrieben.«
»Sie ist meine Tochter «, sagte Kaye, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich will sie sehen, bevor sie mir weggenommen wird.« Das Schluchzen kam, ohne dass sie es unterdrücken konnte. Die Krankenschwester trat ins Zimmer, sah Galbreath bei den beiden stehen und hielt mit hilfloser, betroffener Miene in der Tür inne.
Galbreath nahm Mitch die Schale aus der Hand; er war froh, dass sie ihn davon befreite. Sie wartete, bis Kaye sich beruhigt hatte.
»Bitte«, sagte Kaye. Galbreath stellte ihr die Schale vorsichtig auf den Schoß.
Die Schwester ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Als sie das Tuch zurückzog, wandte Mitch sich ab.
Auf zerstoßenem Eis, in einem kleinen, wieder verschließbaren Plastikbeutel, nicht größer als eine kleine Labormaus, lag die Zwischentochter. Ihre Tochter. Neunzig Tage lang hatte Kaye sie ernährt, in sich getragen und beschützt.
Einen kurzen Augenblick lang wurde ihr schlecht. Mit einem Finger zeichnete sie die Umrisse in dem Beutel nach, die kurze, verbogene Wirbelsäule, den Rand der zerrissenen, winzigen Fruchtblase. Sie strich über den vergleichsweise großen, fast gesichtslosen Kopf, fand die kleinen Augenschlitze, den runzeligen, kaninchenartigen, fest geschlossenen Mund, die Knöpfchen an den Stellen, wo Arme und Beine sein sollten. Die kleine, dunkelrote Plazenta lag unter der Fruchtblase.
»Danke«, sagte Kaye zu dem Fetus.
Sie deckte die Schale wieder zu. Galbreath wollte sie ihr abnehmen, aber Kaye hielt ihre Hand fest. »Lassen Sie sie noch ein paar Minuten hier«, sagte sie. »Ich möchte dafür sorgen, dass sie nicht allein ist. Wohin sie auch gehen mag.«
Galbreath kam zu Mitch ins Wartezimmer. Er saß, den Kopf in die Hände gestützt, in einem hellen Sessel aus gebleichtem Eichenholz unter einer hellgrau gerahmten, in Pastell gemalten Seelandschaft.
»Sie sehen aus, als könnten Sie etwas zu trinken gebrauchen«, sagte sie.
»Schläft Kaye?«, fragte er. »Ich möchte bei ihr sein.«
Galbreath nickte. »Sie können jederzeit zu ihr. Ich habe sie untersucht. Wollen Sie die Einzelheiten wissen?«
»Bitte«, sagte Mitch und rieb sich das Gesicht. »Ich wusste nicht, dass ich so reagieren würde. Es tut mir Leid.«
»Nicht nötig. Sie ist eine tapfere Frau, und sie glaubt zu
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