Das Darwin-Virus
kräftig, dass sie fast die Laterne umgestoßen hätten. Kaye dachte einen Augenblick lang, es würde sich zu einem Wettbewerb im Armdrücken entwickeln.
»Aber eines sage ich Ihnen«, fügte Jack hinzu, als sie fertig waren. »Sie müssen sich anständig benehmen, Mitch Rafelson.«
»Aus der Knochenbranche bin ich ein für alle Mal ausgestiegen«, erwiderte Mitch.
»Mitch träumt von den Menschen, die er findet«, bemerkte Eileen.
»Tatsächlich?« Jack war beeindruckt. »Sprechen sie mit Ihnen?«
»Ich werde einer von ihnen«.
»Oh«, brachte Jack nur noch heraus.
Kaye fand alle faszinierend, aber besonders beeindruckt war sie von Sue. Ihre Gesichtszüge strahlten mehr als nur Stärke aus – sie wirkten fast männlich –, und doch hatte Kaye den Eindruck, als hätte sie noch nie einen so schönen Menschen gesehen. Eileens Verhältnis zu Mitch war so zwanglos und spontan, dass Kaye sich fragte, ob die beiden wohl früher einmal eine Affäre gehabt hatten.
»Alle fürchten sich«, erklärte Sue. »Wir haben in Kumash viele SHEVA Schwangerschaften. Das ist einer der Gründe, warum wir mit Eileen zusammenarbeiten. Der Rat hat entschieden, dass unsere Vorfahren uns sagen können, wie man in diesen Zeiten überlebt.« Sie wandte sich an Kaye: »Sie tragen Mitchs Baby in sich?«
»Ja.«
»Ist die kleine Helferin schon gekommen und wieder gegangen?«
Kaye nickte.
»Bei mir auch«, sagte Sue. »Wir haben sie mit einem besonderen Namen und unserer besonderen Dankbarkeit und Liebe begraben.«
»Sie hieß Schnelle Schwalbe«, ergänzte Jack mit gedämpfter Stimme.
»Herzlichen Glückwunsch«, erwiderte Mitch ebenso leise.
»Ja, das ist angemessen«, erklärte Jack erfreut. »Kein Grund zur Trauer. Ihre Arbeit ist getan.«
»Die Regierung kann nicht einfach Leute vom Land des Rates wegholen«, sagte Sue. »Das lassen wir nicht zu. Wenn die Regierung aufdringlich wird, kommt ihr zu uns. Wir haben sie auch früher schon vertrieben.«
»Das ist ja toll«, sagte Eileen strahlend.
Aber Jack drehte sich um und blickte über seine Schulter ins Dunkle. Seine Augen wurden schmal, er schluckte heftig, und in seinem Gesicht bildeten sich tiefe Furchen. »Schwer zu sagen, was man tun oder glauben soll«, sagte er. »Es wäre mir lieb, die Geister würden deutlicher zu uns sprechen.«
»Wirst du uns mit deinem Wissen helfen, Kaye?«, fragte Sue.
»Ich werde mir Mühe geben.«
An Mitch gewandt, bekannte Sue fast widerstrebend: »Auch ich habe Träume. Ich träume von den neuen Kindern.«
»Erzähl’ uns von deinen Träumen«, bat Kaye.
»Sie sind vielleicht sehr intim, Schatz«, wandte Mitch ein.
Sue legte eine Hand auf Mitchs Arm. »Ich freue mich, dass du es verstehst. Sie sind tatsächlich intim, und manchmal sind sie auch beängstigend.«
Wendell kam mit einer Pappschachtel unter dem Arm die Leiter vom Dachboden herunter. »Meine Eltern haben gesagt, es sei noch alles da und sie haben Recht gehabt. Christbaumschmuck –
du liebe Güte, was für Erinnerungen! Wer möchte den Baum aufstellen und ihn schmücken?«
80
Gebäude 52, National Institutes of Health, Bethesda
Januar
»Hier sind Ihre Besprechungstermine für die beiden nächsten Wochen.« Florence Leighton gab Augustine einen kleinen Zettel, den er in die Hemdtasche stecken und jederzeit zu Rate ziehen konnte, wie er es gerne hatte. Die Liste wurde immer länger; heute Nachmittag würde er mit dem Gouverneur von Nebraska zusammentreffen, und wenn er anschließend noch Zeit hatte, sollte er eine Gruppe von Wirtschaftskolumnisten empfangen.
Außerdem freute er sich auf sieben Uhr abends: Er war zum Essen mit einer attraktiven Frau verabredet, die sich einen feuchten Kehricht um seine Bekanntheit in den Medien und seinen Ruf als unermüdliches Arbeitstier kümmerte. Er zog die Schultern zurück, fuhr mit dem Finger an der Aufstellung hinunter und faltete sie dann zusammen – für Mrs. Leighton das Zeichen, dass die Liste genehmigt und verbindlich war.
»Hier ist noch ein ganz Seltsamer«, sagte sie. »Er hat keinen Termin, aber er sagt, Sie würden ihn ganz sicher sehen wollen.«
Sie ließ eine Visitenkarte auf seinen Schreibtisch fallen und warf ihm einen schelmischen Blick zu. »Ein Kobold.«
Augustine sah sich den Namen an und spürte einen kleinen Stich Neugier.
»Kennen Sie ihn?«, fragte sie.
»Er ist Reporter. Ein Wissenschaftsjournalist, der seine Finger in mehreren heißen Storys hat.«
»Spinner oder Arschloch?«, fragte Mrs.
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