Das Darwin-Virus
und waren deshalb die genetische Verbindung zu SHEVA.
Zusammen konnten sie durchaus die Gehilfen der Evolution sein.
»Kaye?«
»Augenblick«, sagte Kaye, »lass’ mich erstmal tief Luft holen.«
»Das solltest du wirklich tun, liebe ehemalige Studentin Kaye Lang. Die Transposonaktivität in unseren SHEVAinfizierten Leberzellen ist geringfügig erhöht. Sie treiben sich herum, ohne dass Wirkungen zu erkennen wären. Das ist interessant. Aber wir haben uns nicht auf die Leberzellen beschränkt, sondern im Auftrag der Taskforce auch embryonale Stammzellen untersucht.«
Embryonale Stammzellen können sich zu jedem beliebigen Gewebe entwickeln, ganz ähnlich wie die ersten Zellen, die sich in einem Fetus vermehren.
»Wir haben sie sozusagen veranlasst, sich wie befruchtete menschliche Eizellen zu verhalten«, sagte Kushner. »Sie können nicht zu Feten heranwachsen, aber bitte sag’ der FDA trotzdem nichts davon. Seit SHEVA hüpfen die Transposons darin herum wie Käfer auf einem heißen Rost. Sie sind in mindestens zwanzig Chromosomen aktiv. Wäre es eine zufällige Durchmischung, müsste die Zelle sterben. Aber die Zelle überlebt. Sie ist gesund wie immer.«
»Ist es eine gesteuerte Aktivität?«
»Sie wird durch irgendeinen Teil von SHEVA ausgelöst. Ich vermute, durch etwas im LPG – dem großen Proteinkomplex. Die Zelle reagiert, als wäre sie außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt.«
»Was bedeutet das deiner Meinung nach, Judith?«
»SHEVA hat etwas mit uns vor. Es will unser Genom verändern, vielleicht ganz grundlegend.«
»Aber warum?« Kaye grinste erwartungsvoll. Sie war überzeugt, dass Judith den unausweichlichen Zusammenhang herstellen würde.
»Harmlos kann eine solche Aktivität nicht sein, Kaye.« Kayes Lächeln fiel in sich zusammen. »Aber die Zelle überlebt.«
»Ja«, sagte Kushner, »aber die Babys nicht, soweit wir bisher wissen. Es sind zu viele Veränderungen auf einmal. Ich warte schon seit Jahren darauf, dass die Natur auf unsere ganze Umweltscheiße reagiert, dass sie uns sagt, wir sollten mit Überbevölkerung und Ressourcenausbeutung Schluss machen, wir sollten den Mund halten und keinen Unsinn mehr anrichten und einfach sterben. Apoptose auf der Ebene der Spezies. Ich denke, das hier könnte die letzte Warnung sein – ein echter Artenkiller.«
»Du gibst das auch an Augustine weiter?«
»Nicht direkt, aber es wird ihm klar werden.« Kaye warf kurz ei-246
nen verblüfften Blick auf das Telefon, bedankte sich bei Judith und sagte, sie würde später zurückrufen. Ihre Hände zitterten.
Also keine Evolution. Mutter Natur hatte ihr Urteil gesprochen: Die Menschen waren eine bösartige Wucherung, ein Krebsgeschwür.
Einen schrecklichen Augenblick lang erschien dieser Gedanke sinnvoller als alles, worüber sie mit Dicken gesprochen hatte. Aber wie stand es dann mit den neuen Babys, mit den Kindern aus den Eizellen, die von den Zwischentöchtern abgegeben wurden? Waren sie genetisch geschädigt, sodass sie zwar scheinbar gesund geboren wurden, aber bald darauf starben? Oder würden sie wie die Zwischentöchter einfach schon im ersten Schwangerschaftsdrittel abgestoßen werden?
Kaye blickte durch die breiten, bis zum Boden reichenden Fenster auf die Stadt Baltimore. Auf den feuchten Dächern und auf dem Straßenasphalt glitzerte die Sonne des späten Vormittags. Sie malte sich aus, wie jede Schwangerschaft zu einer ebenso vergeblichen zweiten Schwangerschaft führte, wie Gebärmütter endlos mit entsetzlich entstellten Feten im ersten Schwangerschaftsdrittel blockiert waren.
Die Fortpflanzung der Menschen kommt zum Stillstand.
Wenn Judith Kushner Recht hatte, war dies das Totengeläut für die ganze Menschheit.
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AmericolZentrale, Baltimore
28. Februar
Marge Cross stand, vom Publikum aus gesehen, links auf dem Podium; Kaye saß in einer Reihe mit sechs Wissenschaftlern und war bereit, Fragen über die öffentliche Erklärung zu beantworten.
Der Saal war mit vierhundertfünfzig Journalisten bis auf den letzten Platz besetzt. Laura Nilson, die PRChefin von Americol für den Osten der USA, eine junge, ehrgeizige Schwarze, zupfte am Saum ihrer eleganten, olivfarbenen Kostümjacke und nahm dann die Fragen entgegen.
Als Erster war der Medizin- und Wissenschaftsreporter von CNN an der Reihe. »Ich würde meine Frage gern unmittelbar an Dr. Jackson richten.«
Robert Jackson, Leiter des SHEVAImpfstoffprojekts bei Americol, hob die Hand.
»Dr. Jackson, wenn dieses Virus
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