Das Dekameron
daher den König, daß er die bereits gestellte Aufgabe wieder abänderte. Er aber antwortete ihnen: »Meine Damen, wie meine Aufgabe beschaffen ist, weiß ich nicht minder gut als ihr. Dennoch konnten die Gründe, die ihr gegen sie anführt, mich nicht bewegen, davon abzugehen; denn ich bin der Überzeugung, daß in den jetzigen Zeitläuften Männern wie Frauen gestattet ist zu reden, was ihnen beliebt, wenn sie nur darauf achten, in ihren Handlungen ehrbar zu bleiben. Wißt ihr etwa nicht, daß infolge der bösen Geißel, die uns heimgesucht, die richterlichen Beamten ihre Gerichts Stätten verlassen haben, daß die göttlichen sowohl als auch die menschlichen Gesetze schweigen und jedem die Befugnis, sein Leben zu schützen, im weitesten Umfange gewährt ist? Wenn also eure Sittsamkeit in den Gesprächen ein wenig von ihrer Strenge verliert, keineswegs, um infolgedessen in Handlungen die kleinste Unziemlichkeit zu gestatten, sondern nur, um euch selbst und anderen Unterhaltung zu gewähren, so sehe ich nicht ein, mit welchem irgend stichhaltigen Grund euch deshalb jemand tadeln könnte. Zudem hat diese eure Gesellschaft vom ersten Tage bis zur gegenwärtigen Stunde die strengste Ehrbarkeit bewahrt und sich, was immer auch der Inhalt der Erzählung gewesen sein möge, nicht durch die kleinste Unziemlichkeit befleckt, wie sie das auch in Zukunft mit Gottes Hilfe nicht tun wird. Und wem wäre denn eure Sittsamkeit nicht zur Genüge bekannt, welche weder die heiteren Gespräche noch, wie ich überzeugt bin, die Schrecken des Todes auf Abwege zu locken vermöchten? Die Wahrheit zu sagen, glaube ich vielmehr umgekehrt, daß, wolltet ihr euch weigern, an solchen Scherzreden gelegentlich teilzunehmen, ein Böswilliger eher den Verdacht äußern könnte, daß ihr euch in solchen Dingen schuldig fühltet und deshalb euch davon zu reden scheutet. Schließlich gereichte es mir zu geringer Ehre, wenn, nachdem ich jedem meiner Vorgänger gehorsam war, ihr mich zwar zum König macht und mir dadurch die Befugnis, euch Gesetze zu geben, erteilt, es aber gleichzeitig ablehnen wolltet, so zu erzählen, wie ich es bestimmt habe. Laßt also jene Besorgnis fahren, die schuldbewußten Gemütern mehr ansteht als den euren, und seid vielmehr alle miteinander besorgt, uns, wenn das Glück gutgesinnt, eine recht schöne Geschichte zu erzählen.«
Als die Damen dies vernommen hatten, sagten sie, so möge es denn bleiben, wie er bestimmt habe. Der König aber gestattete jedem, bis zur Stunde des Abendessens seinem Vergnügen nach Gutdünken nachzugehen. Da indes die Erzählungen dieses Tages besonders kurz gewesen, stand die Sonne noch hoch am Himmel; als daher Dioneo mit den zwei anderen jungen Männern sich zum Brettspiel niedergesetzt hatte, rief Elisa die Damen beiseite und sagte zu ihnen: »Schon so lange, wie wir hier sind, habe ich gewünscht, euch nach einem gar nicht weit von hier gelegenen Platze zu führen, an dem, wie ich vermute, noch keine von euch jemals gewesen ist und der das Frauental heißt. Bis jetzt konnte ich noch keine Gelegenheit dazu finden; heute aber steht die Sonne noch hoch. Beliebt es euch also, mit mir zu kommen, so zweifle ich nicht, daß es euch keineswegs gereuen wird, seid ihr erst einmal dort gewesen.« Die Damen erwiderten, sie seien bereit, und so machten sie sich, ohne den Männern ein Wörtlein zu sagen, nur von einer herbeigerufenen Dienerin begleitet, auf den Weg.
Nach einem Weg von wenig mehr als einer Meile gelangten sie zu dem Frauental, in das ein ziemlich schmaler Fußpfad, auf dessen einer Seite ein kristallheller Bach ihnen entgegenrieselte, führte. Es erschien ihnen dies Tal, besonders zu jener Tageszeit, wo die Hitze noch groß war, so ergötzlich und schön, wie man es sich nur immer zu erdenken vermag. Wie eine jener Damen mir später berichtet hat, war die ebene Talsohle so rund, als wären sie mit dem Zirkel abgemessen, obwohl man leicht erkannte, daß sie ein Kunstwerk der Natur und keines von Menschenhand sei. Der Umkreis jener Ebene aber betrug wenig mehr als eine halbe Meile, und rings umher erhoben sich sechs Hügel von mäßiger Höhe, auf deren Gipfel je ein Landhaus, dessen Bau sich einer schönen Burg fast vergleichen ließ, zu sehen war. Die Abhänge dieser Hügel stiegen stufenweise bis zur Ebene nieder, wie wir in den Theatern die Sitzreihen von der höchsten bis zur niedrigsten Umkränzung angeordnet sehen, so nämlich, daß ihre Weite sich nach unten stets verminderte.
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