Das Dekameron
drang ich dort so weit vor, daß ich nach pastinakisch Indien kam, wo, wie ich bei dem Gewand, das ich trage, euch zuschwöre, man das Federvieh in der Luft fliegen sah, was allerdings für jeden, der es nicht selbst gesehen hat, kaum glaublich ist. Daß ich euch indes darin keine Unwahrheit sage, das kann mir Maso del Saggio bezeugen, der ein großer Kaufmann ist und den ich dort antraf, wie er Nüsse knackte und die Schalen nach der Elle verkaufte.
Da ich indes nicht finden konnte, was ich eigentlich suchte, indem man von dort aus zu Wasser Weiterreisen muß, so kehrte ich wieder um und kam in jenes heilige Land, wo das alte Brot in einem Sommerjahr vier Heller gilt, das frische aber umsonst gegeben wird. Hier fand ich den ehrwürdigen Vater Messer Tumirnichts Wennsbeliebtius, den verdienstvollen Patriarchen von Jerusalem. Dieser wollte aus Ehrerbietung für das Gewand des hochadeligen heiligen Herrn Antonius, das ich von jeher getragen, mich alle heiligen Reliquien sehen lassen, die er bei sich führte. Deren waren nun so viele, daß ich, wenn ich sie euch alle herzählen wollte, auf mehrere Meilen weit nicht fertig würde. Um euch indes durch mein Schweigen nicht zu sehr zu betrüben, will ich euch wenigstens von einigen berichten. Zuvörderst zeigte er mir den Finger des heiligen Geistes, der noch so frisch und unverwest war wie je zuvor. Sodann die Locken des Seraphs, der dem heiligen Franziskus erschien, den Fingernagel eines Cherubs und eine der Rippen des heiligen Hocestporcus. Ferner einige Kleidungsstücke des heiligen eatholischen Glaubens, ein paar Strahlen des Sterns, der den drei Weisen im Morgenlande erschien, ein Fläschchen von dem Seuweiß, den der heilige Michael vergossen, als er mit dem Teufel kämpfte, eine Kinnbacke des Todes, an dem der heilige Lazarus gestorben ist, und noch vieles andere.
Weil ich mich nun gefällig gegen ihn erwies und ihm einen der Abhänge des Monte Morello in italienischer Übersetzung und einige Kapitel des Capretium abließ, die er schon lange zu haben gewünscht, so teilte er auch mir von seinen heiligen Reliquien mit. Er schenkte mir einen der Zähne des heiligen Kreuzes, ferner in einem zierlichen Fläschchen ein wenig Glockenklang vom Tempel Salomos, sodann die Feder des Engels Gabriel, von der ich euch schon gesagt habe, und einen der Holzschuhe des heiligen Gherardo von Villamagna, den ich erst ganz vor kurzem in Florenz dem Gherardo von Bonsi, der eine große Ehrfurcht davor empfand, gegeben habe. Endlich aber schenkte er mir einige von den Kohlen, mit denen der hochheilige Märtyrer Sankt Laurentius geröstet wurde.
Alle diese heiligen Gegenstände führe ich nun andächtig bei mir und habe sie auch sämtlich hier am Orte. Indessen hat mein Oberer bis jetzt und bis ihre Echtheit erwiesen wäre, mir niemals gestattet, sie vorzuweisen. Jetzt aber hat er sich teils durch einige Wunder, die sie bewirkt haben, teils durch Briefe, die er von dem Patriarchen empfangen, überzeugt, daß sie sind, wofür sie mir gegeben wurden, und mir deshalb die Erlaubnis erteilt, sie zu zeigen. Und so sehr hüte ich mich, sie einem ändern anzuvertrauen, daß ich sie überallhin mitnehme. Namentlich verwahre ich die Feder des Engels Gabriel, damit sie keinen Schaden nehmen, in einem Kästchen und die Kohlen, mit denen der heilige Laurentius gebraten ward, in einem ändern. Nun sind diese beiden Kästchen einander so ähnlich, daß ich schon öfter das eine mit dem ändern verwechselt habe, und so ist mir denn auch heute geschehen. Während ich glaubte, das Kästchen mitgebracht zu haben, in welchem sich die Feder befindet, habe ich das andere mit den Kohlen des heiligen Laurentius ergriffen. Aber ich halte dafür, daß dies keineswegs ein zufälliger Irrtum, sondern daß es vielmehr sicherlich eine Fügung Gottes war, welcher meine Hände das Kästchen mit den Kohlen ergreifen ließ, um mich dadurch zu erinnern, daß in zwei Tagen das Fest des heiligen Laurentius sei. Darum nämlich ließ Gott mich statt der Feder, die ich mit mir nehmen wollte, die gebenedeiten Kohlen, die durch den Saft, der von jenem hochheiligen Leibe niedertroff, ausgelöscht wurden, ergreifen, weil es seine Absicht war, daß ich, indem ich euch die Kohlen, mit denen er einst geröstet ward, vorzeige, in eurem Herzen die fromme Verehrung, die ihr diesem Märtyrer schuldig seid, neu entzünde.
Darum, meine Kinder, die Gott segnen möge, nehmt eure Mützen ab und tretet in Ehrfurcht und Andacht alle heran,
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