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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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verschwanden. Er blieb in seinem Vorsatz standhaft und ließ sie vorübergehen.
    Die Witwe stieg indes den Turm hinauf, wandte sich gen Norden und fing an, die Worte herzusagen, welche der Gelehrte ihr gegeben hatte. Währenddessen schlich sich dieser bald nach ihr in den Turm, hob ganz leise die Leiter weg, die auf den Söller hinaufführte, auf dem die Dame sich befand, und erwartete dann, was sie sagen und tun würde. Nachdem sie siebenmal ihre Beschwörungsformel hergesagt hatte, fing sie an, die beiden Jungfrauen zu erwarten. So lange aber mußte sie ihrer harren, daß sie, von der Kühle zu schweigen, die sie bald stärker empfand, als sie gewünscht hätte, endlich die Morgenröte erscheinen sah. Betrübt darüber, daß nicht erfolgt war, was der Gelehrte ihr versprochen hatte, sagte sie daher zu sich selbst: »Fast fürchte ich, daß jener mir hat eine Nacht verschaffen wollen, wie ich sie ihm gab. Hat er indes in dieser Absicht gehandelt, so hat er es schlecht verstanden, sich zu rächen; denn nicht den dritten Teil so lang ist diese Nacht gewesen, wie die seine es war, ungerechnet, daß damals die Kälte wohl von schlimmerer Art war.«
    Damit nun der Tag sie nicht überrasche, wollte sie vom Turme herabsteigen; allein sie fand die Leiter nicht mehr. Da verließ sie der Mut, als wäre die Welt plötzlich unter ihren Füßen verschwunden, und verzweifelt fiel sie auf den Estrich des Turmes nieder. Als ihre Lebenskräfte zurückkehrten, begann sie bitterlich zu weinen und zu wehklagen. Sie erkannte wohl, daß dies das Werk des Gelehrten sein müsse, und klagte sich laut an, zunächst, daß sie ihn beleidigt, dann aber auch, daß sie dem vertraut habe, den sie wohl für ihren Feind halten mußte. Lange Zeit verbrachte sie in diesen Klagen. Dann blickte sie umher, ob irgendeine Möglichkeit herabzusteigen vorhanden wäre, und da sie diese nicht fand, begann sie von neuem ihre Klagen. Mit bittren Gedanken sprach sie zu sich selbst: »O du Unglückliche, was werden deine Brüder sagen, deine Verwandten, deine Nachbarn und überhaupt ganz Florenz, wenn man erfahren wird, du seist hier nackt gefunden worden? Deine Ehrbarkeit, die so groß geschienen, wird als falsch erkannt werden, und erfändest du auch lügnerische Ausreden, wie es deren vielleicht noch geben mag, so wird der verwünschte Gelehrte, der alle deine Angelegenheiten kennt, dir nicht zu lügen erlauben. O Unglückliche, die du zu gleicher Zeit den Jüngling, den du dir zum Unheil liebtest, und deine eigene Ehre verloren hast!« Und ein solcher Schmerz kam über sie, daß sie fast im Begriff war, sich vom Turme hinabzustürzen.
    Indes hatte sich die Sonne bereits erhoben und die Witwe sich der Brustwehr des Turmes auf der einen Seite genähert, um zu sehen, ob nicht irgendein Knabe, den sie zu ihrer Dienerin schicken könne, mit seinem Vieh nahe wäre. Da geschah es, daß der Gelehrte, der unter einem Gesträuch ein wenig geschlafen hatte, erwachte, sie erblickte, und auch von ihr gesehen wurde. »Guten Tag, Madonna«, rief er ihr zu, »sind die Jungfrauen noch nicht gekommen?« Als die Witwe ihn sah und hörte, fing sie abermals heftig zu weinen an und beschwor ihn, daß er in den Turm komme, damit sie ihn sprechen könne. Hierin war der Gelehrte ihr vollkommen willfährig. Die Dame legte sich nun lang auf den Estrich hin, streckte nur den Kopf über die Öffnung des Bretterbodens und sprach unter Tränen: »Gewiß, Rinieri, wenn ich dir eine üble Nacht verschaffte, so hast du dich wohl an mir gerächt; denn ist es gleich Juli, so habe ich, nackt wie ich bin, in dieser Nacht doch zu erstarren geglaubt. Überdies aber habe ich den Trug, den ich gegen dich beging, und die Torheit, mit der ich dir vertraute, so bitter beweint, daß es ein Wunder ist, wie meine Augen mir noch im Kopf geblieben sind. Und darum beschwöre ich dich, nicht bei deiner Liebe zu mir, die du nicht lieben kannst, sondern bei dir selbst, der du ein Edelmann bist, daß dir als Rache für die Schmach, die ich dir erwies, genüge, was du mir bis jetzt getan hast. Lasse mir meine Kleider reichen, damit ich von hier herabsteigen kann, und raube mir nicht meine Ehre, die du mir nachher nicht wiedergeben kannst, auch wenn du es möchtest. Raubte ich dir auch die Freude, jene Nacht bei mir zu sein, so kann ich ja, sobald es dir gefällt, dir diese eine Nacht tausendmal wiedergeben. Laß es genug sein und wie einem Ehrenmann dir genügen, daß du dich rächen und mir dies beweisen konntest.

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