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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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Schönheit der Braut seines Freundes zu betrachten, sie aufmerksam anzuschauen, und bald gefiel ihm jeder Teil an ihr so über alle Maßen, daß er sich, während er jene still bei sich lobte, so heftig für sie entflammte, wie irgendein Liebender sich je für ein Weib entzündete, jedoch ohne daß ein äußeres Zeichen dies verriet.
    Nachdem sie eine Zeitlang bei ihr verweilt hatten, schieden sie und kehrten nach Hause zurück. Hier begann nun Titus, sobald er allein in seinem Gemach war, an die reizende Jungfrau zu denken, immer lebhafter für sie entbrennend, je mehr er seinen Gedanken nachhing. Als er dies gewahr wurde, sprach er nach vielen heißen Seufzern zu sich: »Wehe deinem Leben, Titus! Wohin und worauf richtest du deinen Sinn, deine Liebe und deine Hoffnung? Erkennst du nicht mehr, daß du, sowohl um der von Chremes und seiner Familie empfangenen Gastfreundschaft als auch um der vollkommenen Freundschaft willen, welche zwischen dir und Gisippus besteht, diese Jungfrau, die dessen Braut ist, mit der Achtung betrachten mußt, die einer Schwester gebührt?
    Wozu liebst du also? Wohin läßt du dich von täuschender Sehnsucht verlocken, wohin von schmeichelnder Hoffnung? Öffne die Augen des Verstandes und erkenne dich selbst wieder, o Unglücklicher! Gib der Vernunft Raum und mäßige die Begierde deiner Sinne; zügle den unverständigen Wunsch und richte deine Gedanken auf etwas anderes, widerstrebe jetzt, im Anfang, deiner Lust und überwinde dich selbst, solange du Zeit dazu hast. Nicht ziemt es dir, daß du begehrst, was deiner Ehre nicht verträglich ist. Was du zu unternehmen dich anschickst, müßtest du fliehen, selbst wenn du so sicher wärest, es zu erreichen, wie du es nicht bist, wenn du im Auge behältst, was echte Freundschaft verlangt und was du sollst. Was also willst du tun, Titus? Du wirst die ungeziemende Liebe verlassen, wenn du entschlossen bist, das zu tun, was sich ziemt.«
    Dann jedoch dachte er wieder an Sophronia, und plötzlich umgewandelt, verwarf er nun alles, was er eben gesagt hatte, und sprach: »Das Gesetz der Liebe ist von größerer Gewalt als irgendein anderes. Es bricht nicht nur das der Freundschaft, sondern selbst das göttliche Gebot. Wie oft hat der Vater die eigene Tochter geliebt, der Bruder die Schwester, die Stiefmutter den Stiefsohn - alles Dinge, die weit unnatürlicher sind, als daß ein Freund des Freundes Frau liebe, wie es schon tausendmal geschehen ist. Überdies bin ich jung, und die Jugend ist dem Gesetz der Liebe ganz unterworfen. Was also der Liebe gefällt, das muß auch mir gefallen. Ehrbarkeit gebührt den reiferen Jahren. Ich kann nichts wollen, als was die Liebe will. Ihre Schönheit verdient es, von jedem geliebt und bewundert zu werden, und wenn ich nun, der ich jung bin, sie liebe, wer kann mich mit Recht deshalb tadeln? Nicht deshalb liebe ich sie ja, weil sie Gisippus gehört, nein, ich liebe sie, weil ich sie liebte, wem immer sie auch angehören möchte. Hier trägt das Schicksal die Schuld, welches sie dem Gisippus, meinem Freunde, statt einem ändern verliehen hat. Und wenn sie Liebe erwecken muß, und ihrer Schönheit wegen muß sie es notwendig, so sollte Gisippus ja mehr erfreut sein, wenn er erfährt, daß ich sie liebe, als daß ein anderer es täte.«
    Von diesen Trugschlüssen kehrte er dann wieder, indem er sich selbst verspottete, zu deren Gegenteil zurück, von diesem wieder zu jenen, von jenen zu diesem, und brachte so nicht nur diesen Tag und die folgende Nacht hin, sondern noch viele andere, bis er Appetit und Schlaf verlor und vor Entkräftung auf das Lager niedergeworfen wurde.
    Gisippus, der ihn mehrere Tage lang gedankenvoll angesehen hatte und ihn jetzt krank sah, ward darüber sehr traurig und bemühte sich mit jeglicher Kunst und Sorge, ohne je von seiner Seite zu weichen, ihm Trost zuzusprechen, während er ihn oft und mit Nachdruck bat, ihm die Ursache seiner Sorge und Krankheit zu entdecken. Titus hatte ihm schon öfter allerlei Fabeleien zur Antwort gegeben, doch da Gisippus diese für das erkannt hatte, was sie waren, und Titus immer noch von ihm mit Bitten bestürmt ward, so antwortete er ihm endlich unter Tränen und Seufzern in dieser Weise:
    »Gisippus, hätte es den Göttern gefallen, so wäre mir der Tod freilich willkommener gewesen als das Weiterleben, wenn ich bedenke, daß das Schicksal mich in eine Lage gebracht hat, wo ich meine Tugend hätte bewähren sollen und wo ich sie nun zu meiner großen Scham

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