Das Dekameron
möge die Frau nur kommen lassen. Bernabo wunderte sich über diese Reden nicht wenig, da er seine Frau mit Gewißheit tot glaubte. Ambrogiuolo ahnte zwar schon sein Unglück und fürchtete Schlimmeres als die Erstattung des Geldes; auch wußte er nicht, was er von dem Erscheinen der Frau hoffen oder fürchten sollte; doch walteten auch bei ihm Neugier und Verwunderung vor.
Als nun der Sultan dem Sicurano seine Bitten gewährt hatte, warf dieser sich weinend vor ihm auf die Knie, gab in dem Augenblick, wo er nicht mehr als Mann gelten wollte, seine männliche Stimme auf und sagte: »Mein Gebieter, ich bin die arme unglückliche Ginevra und bin nun schon sechs Jahre lang in Männertracht durch die Welt geirrt, seit dieser Verräter Ambrogiuolo mich fälschlich, aber nur zu fühlbar beschimpft, und seit mein grausamer und ungerechter Gatte hier mich von einem seiner Diener hat umbringen und den Wölfen vorwerfen lassen wollen.« Bei diesen Worten riß sie ihr Gewand auf, zeigte ihren Busen und bewies dadurch dem Sultan und den anderen Anwesenden, daß sie ein Weib war. Dann aber wandte sie sich gegen Ambrogiuolo und fragte ihn im höchsten Zorne, wann er jemals, wie er sich gerühmt, bei ihr geschlafen habe. Ambrogiuolo erkannte sie wohl und war so beschämt, daß er schwieg, nicht anders als wäre er stumm geworden. Der Sultan, der sie immer für einen Mann gehalten hatte, geriet bei diesen Worten und bei diesem Anblick in solches Erstaunen, daß er mehrmals alles, was er sah und hörte, nicht für wahr, sondern für einen Traum halten wollte. Endlich aber legte sich sein Staunen, er erkannte die Wahrheit und zollte dem Leben, der Standhaftigkeit, den guten Sitten und Tugenden Ginevras, die bis dahin Sicurano genannt worden war, höchstes Lob. Dann ließ er ihr anständige Frauenkleider bringen, erfüllte ihre Bitte und umgab sie mit Frauen, die ihr Gesellschaft leisteten, und schenkte dem Bernabo sein verwirktes Leben. Dieser aber hatte sie kaum erkannt, als er sich weinend vor ihr niederwarf und sie um Verzeihung bat, die sie ihm denn auch, so wenig er sie verdient hatte, freundlich gewährte, indem sie ihn aufstehen hieß und ihn zärtlich als ihren Gemahl umarmte.
Darauf befahl der Sultan sogleich, daß Ambrogiuolo an einen erhöhten Platz der Stadt geführt, dort in der Sonne nackend an einen Pfahl gebunden und mit Honig bestrichen werde, um nicht eher von dort wieder losgebunden zu werden, als bis seine Gebeine von selbst aus den Banden fielen. Als dieser Befehl des Sultans vollzogen war, ließ er alles, was bisher dem Ambrogiuolo gehört, der Frau als ein Geschenk überantworten, und es fand sich, daß sein Vermögen nicht weniger als zehntausend Doublonen betrug. Dann ordnete er ein herrliches Fest an, bei welchem er den Bernabo als den Gatten der Frau Ginevra, diese selbst aber als ein Muster trefflicher Frauen ehrte und ihr an Schmuck, goldenen und silbernen Gefäßen und barem Gelde mehr denn zehntausend Doublonen an Wert schenkte. Als das Fest zu Ende war, rüstete er ein Schiff aus und beurlaubte sie, auf diesem nach Gefallen heimwärts zu reisen. So kehrten sie denn reich und froh in ihre Heimat zurück und wurden dort auf das ehrenvollste empfangen, besonders aber Frau Ginevra, die von allen tot geglaubt worden war und nun, solange sie lebte, wegen ihrer Tugenden und ihres Verstandes allgemein gerühmt ward.
Ambrogiuolo war noch am selben Tage an den Pfahl gebunden und mit Honig bestrichen worden und hatte nicht allein mit unsäglichen Schmerzen unter den Stichen der Fliegen, Wespen und Bremsen, deren sich in jenem Lande besonders viele finden, seinen Geist aufgeben müssen, sondern sein Leichnam ward auch bis auf die Knochen von ihnen verzehrt. So blieben die weißen Gebeine, von den Sehnen zusammengehalten, noch lange Zeit unangerührt, dem Vorübergehenden ein Zeugnis von Ambrogiuolos Bosheit, und so bewährte sich das Sprichwort: Wer ändern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
Zehnte Geschichte
Paganino von Monaco raubt dem Herrn Ricciardo von Chinzica seine Gattin. Dieser erfährt, wo sie ist, begibt sich dorthin, befreundet sich mit Paganino und fordert sie von ihm zurück. Paganino verspricht sie ihm, wenn sie wieder zu ihm wolle. Sie hat aber keine Lust, zu ihm zurückzukehren, und wird nach Herrn Ricciardos Tode Paganinos Frau.
Jedes Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft rühmte die Geschichte, welche die Königin erzählt hatte, als besonders schön, vor allem aber
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