Das Dekameron
Dioneo, dem für den heutigen Tag die Mühe des Erzählens allein noch oblag. So begann er denn nach einem gründlichen Lobe seiner Vorgängerin also zu reden:
Schöne Damen, eine Stelle in der Erzählung der Königin hat mich bewogen, die Geschichte, die ich im Sinne trug, für heute beiseite zu lassen und dafür eine andere zu erzählen. Ich meine nämlich die durch den glücklichen Ausgang nicht gemilderte Torheit des Bernabo, der sich, wie mancher andere Mann auch, einreden konnte, daß die Frauen daheim die Hände in den Schoß legen, während die Männer draußen in der Welt umherreisen und sich bald mit dieser, bald mit jener die Zeit vertreiben. Als ob wir, die wir ja unter den Frauen auf die Welt kommen und groß werden, nicht wüßten, wonach sie Verlangen tragen. So will ich euch denn in meiner Geschichte zu gleicher Zeit die Torheit solcher Leute und die noch größere anderer aufzeigen, die glauben, daß sie mehr vermöchten als die Natur selbst, und sich einbilden, mit eitlem Geschwätz bewirken zu können, was nicht in ihrer Macht liegt, ja, die versuchen, andere so umzubilden, wie sie selbst sind, obwohl deren Wesen dem ihrigen widerstrebt.
In Pisa lebte einmal ein Richter, der mehr mit Verstand als mit körperlichen Kräften begabt war und Herr Ricciardo von Chinzica genannt wurde. Dieser bildete sich wohl ein, daß einer Frau dieselben Fähigkeiten, wie sie zum Richteramt erforderlich sind, genügen, um etwas auszurichten. Er suchte sich daher im Vertrauen auf seinen ansehnlichen Reichtum mit allem Eifer eine schöne und junge Frau, während er doch, wenn er sich selbst so gut beraten hätte wie fremde Leute, das eine wie das andere sorgfältig hätte vermeiden sollen. Indes wurden seine Wünsche erfüllt. Herr Lotto Gualandi gab ihm eine seiner Töchter namens Bartolomea, eines der hübschesten und muntersten Mädchen in Pisa, obgleich dort die meisten so niedlich und flink sind wie die Eidechsen. Der Richter holte sie mit den größten Festlichkeiten heim und feierte eine glänzende und prachtvolle Hochzeit. Auch setzte er in der Brautnacht ein einziges Mal ernsthaft an, die Ehe zu vollziehen; doch fehlte nicht viel, so wäre es auch mißlungen. Am ändern Morgen mußte er sich, da er ja dürr und mager und von kurzem Atem war, durch manchen stärkenden Trank, würzige Suppen und andere Reizmittel wieder ins Leben zurückrufen.
Durch diese nächtlichen Erfahrungen lernte der Herr Richter seine Kräfte richtiger einzuschätzen, als er zuvor getan, und er begann infolgedessen seiner Frau einen Kalender beizubringen, der den Schulkindern sicherlich gefallen hätte und ursprünglich vielleicht zu Ravenna gemacht war. Denn nach seinen Erklärungen gab es keinen Tag, auf den nicht ein oder mehrere Heiligenfeste fielen, und diesen Festen zu Ehren mußten sich Mann und Frau aus mancherlei triftigen Gründen fleischlicher Vereinigungen enthalten. Zu diesen Festen kamen noch die Quatember, die Vigilien der Apostel und anderer Heiliger, die Freitage und Samstage, der Sonntag als der Tag des Herrn, die ganze Fastenzeit, gewisse Mondphasen und eine Menge anderer Ausnahmen, für welche alle er im Bette seiner Frau die gleichen Ferien in Anspruch nehmen zu können glaubte, deren er sich zuweilen in seinen Prozessen bediente. Auf diese Weise fuhr er lange Zeit fort, sehr zum Verdrusse seiner Frau, die kaum einmal im Monat auf ihre Kosten kam. Dabei achtete er höchst sorgfältig darauf, daß nicht etwa einer sie auf die gleiche Art mit den Werktagen bekannt machte, wie er sie die Festtage gelehrt hatte.
Nun geschah es, daß einmal zur Zeit der großen Hitze den Herrn Ricciardo die Lust ankam, sich auf einem schönen Landgute in der Nähe des Monte Nero, das ihm gehörte, zu erholen und während des Aufenthalts von einigen Tagen frische Luft zu schöpfen. Seine schöne Frau mußte ihn begleiten, und um sie in der Zeit, die sie dort weilten, ein wenig zu unterhalten, veranstaltete er eines Tages einen Fischzug. Auf dem einen Kahn fuhr er mit den Fischern, auf dem ändern sie mit einigen Frauen. So sahen sie dem Fischfang zu, und das Wohlgefallen, das sie an diesem Schauspiel fanden, lockte sie, ohne daß sie's gewahr wurden, mehrere Meilen ins Meer hinaus. Während sie aber noch auf den Fischfang achteten, näherte sich ihnen plötzlich eine Galeere des Paganino da Mare, der damals ein berühmter Seeräuber war. Als dieser die Kähne bemerkte, machte er Jagd auf sie, und sie konnten nicht schnell genug
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