Das Deutsche als Männersprache
wie Männer.
Soll nun aber statt die Bürger, die Urlauber etc. immerfort, bei jedem vorkommen, die Bürgerinnen und Bürger, die Urlauber und Urlauberinnen gesagt werden? Das würde vermutlich auf die Dauer wirklich ziemlich beschwerlich sein und schwerfällig wirken. Es gibt bessere, auch »ökonomischere« Strategien, die aber für unseren Sprachraum im einzelnen erst noch ausgearbeitet werden müssen.
Dabei können die englischen Guidelines uns wertvolle Anregungen liefern. Nützlich ist auch aufmerksame Zeitungslektüre: Sensible und problembewußte Schreiber/innen finden da manchmal einfache und elegante Lösungen, auf die unsereins vielleicht nicht so schnell gekommen wäre. In einem am 9. Juli 1979 (p. 20f.) im Spiegel abgedruckten Text von Wehner fand ich z.B. eine ausgewogene Mischung von »Geschlechtersplitting« und »ökonomischer« Archilexemverwendung. Durch das vorangegangene Splitting werden die Archilexeme (für mein Empfinden) hinreichend disambiguiert:
Denn der Kandidat wird wissen, daß es vielen Bürgerinnen und Bürgern kalt den Rücken herunterläuft, wenn sie an seinen Durchmarsch zur Macht denken. (20)
Es ist die Pflicht der in Betrieben und Gewerkschaften aktiven Frauen und Männer, diesen Dirigierversuchen von oben die Grundlage zu entziehen. (21)
Nur die Wählerinnen und Wähler haben es noch in der Hand, ob die jetzt abgeschlossene Entwicklung der letzten zehn Jahre ein Dauerzustand wird. Schneidende Wahlniederlagen sind das einzige noch verbliebene Mittel zur Reform der CDU/CSU.
Daß die Wähler diese Chance nützen können, hängt von uns Sozialdemokraten sehr stark ab. (21)
(Hervorhebungen von mir)
Eine speziell das Deutsche untersuchende feministische Linguistik kann aus solchen Dokumenten viel lernen und allgemeine Umformulierungsrichtlinien aus ihnen ableiten, die z.B. auch den Faktor Textkohärenz mit einbeziehen, der ständiges Geschlechtersplitting überflüssig macht. Kalverkämpers Sorge bezüglich der »unökonomischen Schwerfälligkeiten«, die sich aus der Befolgung feministischer Formulierungsvorschläge ergeben würden, beruht also auf Kurzsichtigkeit und undifferenziertem Verallgemeinern, das wiederum auf fehlendes mitmenschliches Interesse schließen läßt. Eben deshalb wollte ich ihm mit dem Rollenspiel der Einleitungsanekdote und mit den übrigen persönlichen Anspielungen im Text eine Gelegenheit zum Empathie-Training geben. Der Nichtlinguist Wehner ist ihm an Einfühlungsvermögen weit überlegen. Er probiert’s halt mal aus und zeigt durch die Praxis, A2& Kalverkämpers Sorge völlig unbegründet ist: Sein Text ist nicht die Spur schwerfällig und erfüllt doch die Grundforderungen feministischer Sprachkritik.
4 Schlußwort
Ich habe nur drei zentrale Punkte der Kritik von Kalverkämper aufgegriffen, weil es sich dabei um Einwände gegen die feministische Linguistik handelt, die ich so oder ähnlich schon öfter gehört habe. Die übrigen Vorwürfe Kalverkämpers 9 lassen sich in derselben Weise erledigen, aber ich verzichte gern darauf, das hiervorzuführen 10 , zumal ich ihm auch zu Dank verpflichtet bin. Seine unsägliche Kritik war für mich der Anstoß, mich endlich von der Sympathisantin zur Aktiven zu mausern. Fortan werde ich mich intensiv an der Frauensprach-Debatte beteiligen, auf die er so gern »einen beruhigenden Einfluß« ausüben wollte (56). Ich habe während der Arbeit an der hier vorgelegten Gegenkritik gemerkt, daß diese Debatte zum Interessantesten und theoretisch wie praktisch Folgenreichsten gehört, was die Linguistik derzeit an Themen zu bieten hat.
Beruhigung? — Nein: Unruhe(stiften) ist die erste Bürgerinnenpflicht.
1979
Der Piloterich
Ein Beitrag der außerirdischen Linguistik
Neulich war ein Wesen von einem fremden Stern hier. Auf jenem Stern gibt es keinen Geschlechtsunterschied, deshalb sollte das Wesen untersuchen, wie wir sprachlich mit diesem Unterschied zurechtkommen. Es hatte den Auftrag, mit dem Deutschen zu beginnen und eine objektive strukturale Beschreibung anzufertigen mit dem Titel (sinngemäß übersetzt): »Wie wird im Deutschen auf Frauen und Männer referiert ?« Die Beschreibung sollte so einfach, allgemein und genau wie möglich sein. Das fremde Wesen nahm sich zunächst die Bezeichnungen vom Typ Arzt/Ärztin vor und erstellte folgenden Bericht:
A: Bestandsaufnahme
Die Gesetzmäßigkeiten im Bereich des Referierens mit Personenbezeichnungen vom Typ Arzt/Ärztin lassen sich mit einem
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