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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Funktionsbezeichnungen angeht, bin ich in der Zwischenzeit unsicher geworden. Von mehreren skandinavischen Gewährsmännern und -frauen habe ich gehört, daß in Schweden und Dänemark zumindest die >morphologische< Tendenz gegenläufig ist, obgleich es im Dänischen und Schwedischen ähnliche Movierungsmöglichkeiten wie im Deutschen gibt. Dort sind es gerade die Frauen, die Wert darauf legen, Lehrer und Ingenieure zu heißen, und nicht Lehrerinnen und Ingenieurinnen , gerade weil sie auch sprachlich nicht diskriminiert werden wollen. Es käme schließlich auf entsprechende berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse an, und nicht auf das Geschlecht.
    Aus England erfuhr ich gerade, daß dort Stellenanzeigen, in denen auf das Geschlecht der Bewerber explizit Bezug genommen wird, verboten sind, im Unterschied zur Bundesrepublik, in der die meisten Zeitungen drei Rubriken haben: Stellenangebote/-gesuche männlich (Textilingenieur), weiblich (Textilingenieurin) und gemischt (Textilingenieur/-in).
    Ich bekomme deshalb den Verdacht nicht los, daß möglicherweise durch die Forcierung des Gebrauchs »geschlechtmarkierter« Personenbezeichnungen zwar einerseits dem Wunsch der Frauen nach deutlichem Gemeintsein entsprochen wird, andererseits aber in all den Fällen Sexusmarkierungen gebraucht werden, in denen es gerade auf das Geschlecht nicht ankommen darf.
    Ich habe keine Repräsentativerhebung angestellt, aber mit mehreren Frauen (auch hier im IdS) gesprochen. Einige äußerten sich ähnlich wie die erwähnten Skandinavierinnen. Die Verwendung von Berufsbezeichnungen in der >weiblichen< Form sei ihnen lästig, sei eine typisch männliche Koketterie und sei vor allem dann zu beobachten, wenn Frauen in ihrem professionellen Status nicht ganz ernst genommen würden, wenn aus irgendwelchen Gründen gezielt an ihre Weiblichkeit appelliert werde.
    Als Mann bin ich für derartige Einstellungen nicht hinreichend sensibilisiert. (Kommentar L.F.P.: Ein wahrhaft bemerkenswerter Satz! Eine Einsicht, wie ich sie bisher noch nie von einem Mann gehört, sie mir aber immer zu hören gewünscht habe.) Daß Artikel 3 des Grundgesetzes immer noch nicht hinreichend verwirklicht ist, weiß ich. Aber könnte es nicht sein, daß dem verfaßten Benachteiligungsverbot sprachlich besser entsprochen würde, wenn >weiblich< markierte Bezeichnungsformen für alle Berufe und Funktionen, die geschlechtsunspezifisch sind (und das sind ja fast alle) grundsätzlich vermieden würden? Die Bezeichnungen würden dann — was sie jetzt zweifellos noch nicht sind — geschlechtsneutral, weil es dann kein Geschlechtsparadigma mehr gäbe. Es käme dann auch nicht zu einer Virilisierung/Maskulinisierung der Frauen. Dies wäre freilich ein erheblicher Eingriff in die Morphologie und die tendenzielle Gebrauchsnorm des Deutschen.
    Ich würde mich freuen, wenn Sie mir ein paar Sätze zu dieser Frage schreiben könnten.

    Auf diese Anfrage habe ich Stickel zunächst vorläufig geantwortet und diese Antwort inzwischen zu dem folgenden offenen Brief ausgebaut:

    Zu Ihrer Frage: Soll die movierte Form forciert werden, ihr häufiger und systematischer Gebrauch gefordert, praktiziert und unterstützt werden — oder soll sie im Gegenteil ganz abgeschafft werden mit dem Ziel, dadurch die nicht-movierte (»unmarkierte«) Form mit echter Geschlechtsneutralität auszustatten?
    Ich finde, beide »Parteien« haben recht, wenn sie meinen, die jeweils andere Lösung sei schlecht. Beide Parteien haben aber unrecht, wenn sie die jeweils eigene Lösung gut finden. Sinnvoll wäre höchstens die Frage, welche der Lösungen das kleinere Übel ist. Es ist wie mit allen Alternativen, vor die sich Frauen in patriarchalischen Systemen gestellt sehen — und die deutsche Sprache ist wie die meisten anderen Sprachen ein patriarchalisch organisiertes System. Die Crux ist immer die, daß bei solchen Alternativen die »männliche Seite des Problems« unangetastet bleibt oder bleiben soll. Nehmen Sie die Parallele »Entscheidung zwischen Familie und Beruf«. Solange Männer sich nicht vor dieselbe Alternative gestellt sehen (für sie verbindet sich beides problemlos), bringt jede getroffene Wahl für die Frau schwere Nachteile.
    Fazit: Nur wenn die Situation der Männer gleichzeitig mit geändert wird, ist eine gerechte Lösung für Frauen möglich. Auf die (deutsche) Sprache übertragen bedeutet das: Nur wenn die Bezeichnungen für Männer gleichzeitig mit geändert werden, ergeben sich gleiche

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