Das Deutsche als Männersprache
sprachliche Chancen für Frauen und Männer.
Das Problem — gleiche Chancen des Gemeintseins — ist zwar theoretisch-linguistisch nicht ganz einfach zu lösen, aber theoretisch lösbar ist es gewiß. Schwierig ist erst die Praxis, aber darauf gehe ich später ein.
2 Diagnose: Welche Mittel der Geschlechtsspezifikation besitzt das Deutsche, und wie werden sie gegen Frauen eingesetzt?
Vor dem Lösungsvorschlag hier zunächst eine onomasiologische Analyse des Problems.
Die Spezies Mensch kann man unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt betrachten als Klasse prinzipiell gleich organisierter Entitäten, die in zwei Hälften zerfällt: eine weibliche und eine männliche. Um das Wortfeld der Bezeichnungen für Menschen von einer neutralen Warte aus beurteilen zu können, empfiehlt es sich, eine ähnlich strukturierte Klasse von Entitäten zum Vergleich heranzuziehen, z. B. die Klasse der paarweise vorhandenen, symmetrisch angeordneten Körperteile. Bei den Menschen gibt es also zwei Arten der Geschlechtszugehörigkeit, weiblich und männlich, bei den paarweise vorhandenen Körperteilen zwei Arten der Situierung, links und rechts. Sehen wir uns das Wortfeld »Körperteilbezeichnungen« an, so stellen wir fest, daß es nur solche Lexeme gibt, die von der Situierung abstrahieren. Soll die Situierung spezifiziert werden, so kann das nur mittels Hinzufügung der Attribute link- und recht- geschehen:
Ganz genauso funktioniert (zumindest theoretisch) der größte Teil der Personenbezeichnungen des Englischen, wie ein Vergleich der folgenden Konfiguration mit der obigen klarmacht:
Wir sehen, daß das System der Körperteilbezeichnungen keine der beiden Hälften bevorzugt bzw. diskriminiert und daß das Englische mindestens theoretisch die Voraussetzung für ein nicht diskriminierendes Bezeichnen von Personen besitzt. Nur ist es leider auch im Englischen unüblich, beide Hälften der Menschheit so unparteiisch zu behandeln wie beide Hälften der meisten Körperteilpaare (bei Händen und vielleicht auch Beinen und Füßen gibt es eine kulturbedingte gewisse »Rechtslastigkeit«). Weibliche Menschen werden im Englischen etwa so behandelt wie linke Hände in allen Sprachen. So wie Hand/hand/main/mano etc. in den meisten Kontexten >rechte Hand< bedeutet (vgl. Sie gab mir die Hand / They shook hands etc.), so referieren engl. professor/doctor/clerk/farmer/employee,... bekanntlich in den meisten Kontexten auf männliche Menschen. 12
Doch zurück zum Deutschen: Das Deutsche greift zur Spezifikation der Geschlechtszugehörigkeit gleich auf drei grammatische Subsysteme zurück:
1. Lexikon:
a) die Attribute weiblich und männlich
b) lexeminhärente Geschlechtsspezifikation in Paaren wie Schwester, Bruder — Mutter, Vater.
2. Grammatische Kategorien: die Genera Femininum und Maskulinum.
3. Wortbildung: Suffixe zur Spezifikation des weiblichen Geschlechts.
(Während im Englischen die lexikalischen Mittel der Geschlechtsspezifikation überwiegen, überwiegen im Deutschen die im engeren Sinne grammatischen (Genussystem und Suffix-Ableitung).)
Zunächst einmal ist festzustellen, daß es — anders als bei den Körperteilbezeichnungen, die alle situierungsabstrahierend sind — nur ganz wenige Personenbezeichnungen gibt, die geschlechtsabstrahierend sind, wenn man berücksichtigt, daß das Genus Bestandteil der Bezeichnungen ist und daß es in diesem Wortfeld in der Regel geschlechtsspezifizierende Funktion hat. Geschlechtsabstrahierend sind z.B. Kind, Säugling, Mensch, Person sowie die Komposita auf - kraft: Lehr-, Hilfs-, Fach-, Spitzenkraft. Sie sind es deswegen, weil sie weder zur Klasse der geschlechtsspezifizierenden Lexeme (s.u.), noch zur Klasse der Personenbezeichnungen mit Differentialgenus 13 gehören (Typ die/der Abgeordnete), noch die -in-Movierung erlauben (aus unterschiedlichen Gründen, die ich hier nicht auf zählen will).
Der obigen Ohr -Grafik entspräche für Kind und Mensch folgendes:
Nun sagen wir aber bekanntlich selten Sätze wie:
D. weibliche Mensch/Kind verabschiedete sich von dem männlichen Menschen/Kind.
Wir sagen statt dessen:
Die Frau/Das Mädchen verabschiedete sich von dem Mann/Jungen.
Anders als bei den Körperteilbezeichnungen ist die Spezifikation des Subklassifikationsmerkmals bei vielen Personenbezeichnungen inhärent:
Bei geschlechtsspezifizierenden Lexemen führt eine zusätzliche attributive Geschlechtsspezifikation zu pleonastischen oder kontradiktorischen
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